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Zum Tod von Bischof Desmond Tutu

Wann haben Sie beschlossen, gegen das weiße Regime aufzustehen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Es war ein Prozess. Ich arbeitete für den Weltkirchenrat und traf viele Kollegen. Einer kam aus Lateinamerika, er hat mich mit der Theologie der Befreiung vertraut gemacht. Ich begann, Religion auf eine Weise zu begreifen, von der ich vorher nichts gewusst hatte. Als ich 1975 das Dekanat von Johannesburg übernahm, wurde mir bewusst, dass Gott mir die Gelegenheit gegeben hatte, schwarze Sehnsüchte auszusprechen. Das konnten seinerzeit nicht viele unserer Leute. Damals schrieb ich einen Brief an Premierminister Vorster, um ihn zu warnen. Ich hatte die böse Vorahnung einer nahe bevorstehenden Explosion. Das war im Mai 1976, glaube ich.
Hat Vorster geantwortet?
Nein. Er reagierte mit Geringschätzung und ging über meine Warnung hinweg. Dann, am 16. Juni 1976, geschah diese fürchterliche Sache, der Schüleraufstand in Soweto.
Ein Jahr später riefen Sie bei der Beerdigung des vom Burenregime ermordeten Widerstandskämpfers Steve Biko: "Gott, wo bist du!" Wo war Gott? Warum hat er die Apartheid nicht verhindert?
Sie könnten ebenso gut fragen: Warum hat er den Holocaust nicht verhindert? Gott behandelt uns nicht wie Roboter. Er hat jeden von uns mit einem freien Willen ausgestattet.
Mit der Freiheit, Böses zu tun?
Ja. Wir sind frei, Gott zu gehorchen oder auch nicht. Wir sind frei, die Gesetze des Universums zu befolgen oder sie zu missachten. Wenn man zum Beispiel von einem Hochhaus springt, muss man die Konsequenzen der Schwerkraft tragen. Nun könnte man auch sagen: Gott muss eingreifen und seine Hände aufhalten, damit unser Kopf nicht auf dem Beton zerschellt. Wenn er intervenierte, würde er das Regelwerk der Natur aufheben.
Die Apartheid wurde von Menschen erdacht und ausgeführt.
Wir sind verantwortlich für unsere Taten, auch diese Fähigkeit hat Gott uns geschenkt. Er hat uns zu Personen gemacht, nicht zu Tieren, die ihren Instinkten gehorchen. Wir würden keine Verantwortung tragen, wenn Gott uns als Maschinen erschaffen hätte, die immer alles richtig machen. Dennoch überlässt Gott uns nicht uns selbst. Gott kommt und sagt: Wie können wir das Problem gemeinsam lösen?
Sie sind ein furchtloser Mann. Hatten Sie je Angst?
Aber natürlich! Immer! Zum Beispiel wenn ich den Telefonhörer abhob und jemand am anderen Ende der Leitung sagte: "Ich werde dich töten!" Oder wenn ein rechtsextremes Kommando befahl: "Du musst das Land verlassen. Wenn du am Stichtag noch hier bist, werden wir dich umbringen!" Man kann natürlich immer sagen: Das ist nur ein Schabernack, das wird nicht geschehen. Ein sehr humorvoller Polizeioffizier sagte damals zu mir: "Tun Sie uns doch einen Gefallen, Bischof. Bleiben Sie den ganzen Tag im Bett!"
Haben Sie ihm den Gefallen getan?
Nein. Wenn man das nämlich einmal macht, wird man es immer tun. Dann haben sie dich in der Hand. Ja, ich hatte Angst. Aber getötet zu werden ist nicht das Schlimmste, was einem zustoßen kann. Ich bin ein Christ und glaube an die Auferstehung. Und deswegen ging ich trotz aller Drohungen am nämlichen Tag an die Arbeit, während meine Kollegen am Vortag eine Messe hielten, in der so getan wurde, als müsste ich sterben. Der Tag verging, die Dämmerung kam und mir entfuhr ein Seufzer der Erleichterung: Hey, ich lebe noch!
Welche Bibelstelle schätzen Sie besonders?
Römerbrief, Kapitel 5, Vers 8: "Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren." Das ist ein wunderbares Exempel für die Liebe Gottes.
Wir lieben es, geliebt zu werden – auch Erzbischof Tutu. Sie haben das einmal Ihre größte Schwäche genannt.
Ist es immer noch. Als ich aus England nach Südafrika zurückkam, wollte ich geachtet werden. Ich erlebte schlimme Szenen, in denen ich als Ungeheuer gesehen wurde, als Person, die man liebend gerne hasst. Wenn ich ein Flugzeug bestieg, sank die Temperatur spürbar ab. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich schon viele Tode gestorben.
Hatten die Weißen denn eine andere Bibel?
Ich wurde umgekehrt oft gefragt: "Welche Bibel liest du eigentlich?" Es war klar, dass diejenigen, welche den ungerechten Status quo verteidigten, die Bibel so auslegten, wie es ihnen gerade passte. Die zentrale Botschaft der Heiligen Schrift hatten sie offenbar nicht verstanden: Gott ist immer auf der Seite der Schwachen.
Aus einem Interview mit Bischof Desmond Tutu. Aus: Die ZEIT Magazin vom 7. Juli 1995 (gekürzt).


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)