9. Folge, 24.7.23
"3 Fragen an ..." – Das MFThK-3-Fragen-Interview
Drei Fragen an Prof. Dr. Gregor Maria Hoff

Ein Gastbeitrag von Detlef Pollack für das Magazin "Cicero" und zwei Interviews mit Pollack (auf kath.ch und im KStA) haben vor kurzem für Aufsehen in theologisch und kirchlich interessierten Kreisen gesorgt. Die katholische Kirche ist nach seiner Ansicht nur begrenzt reformierbar. "Die Kirche würde sich selbst aufgeben, wenn sie die Reformen so weit treiben würde, wie es notwendig wäre", sagte er. Er begründete dies damit, "dass es ein unauflösbares Spannungsverhältnis zwischen Moderne und katholischer Kirche gibt." Auf dem Synodalen Weg seien Forderungen erhoben worden, die "das, was die katholische Kirche im Kern ausmacht", bedrohten. Was entgegnen Sie als Fundamentaltheologe und Vertreter des Synodalen Weges auf diese religionssoziologischen Einlassungen zur Debatte über die steigenden Kirchenaustrittszahlen? Wo sehen Sie Grenzen der Reformierbarkeit der katholischen Kirche?

Pollack weist zurecht auf Spannungsmomente der katholischen Kirche zur Moderne hin – wobei sich die Moderne selbst als so spannungsreich erweist, dass man sie nur in ihren eigenen Ambivalenzen, Mehrdeutigkeiten, Widersprüchen fassen kann. Hebt man auf normative Forderungen freiheitsbasierter Modernitätskonzepte ab, kann man feststellen, dass sich die katholische Kirche entwickelt hat – allerdings durchaus widersprüchlich. Ablehnend, affirmativ, uneindeutig. Man denke an die Akzeptanz der Religionsfreiheit auf dem 2. Vatikanischen Konzil, aber auch an die fehlende Bereitschaft, die UN-Menschenrechtscharta zu unterzeichnen. Gerade vor dem Hintergrund widersprüchlicher Entwicklungen zeigt sich: Nur in einem substanzialistischen Verständnis von Katholizität gibt es so etwas wie einen katholischen Wesenskern. Schließlich hat sich auch das Papsttum umwegig in seinen Funktionen und Ausstattungen entwickelt. Die Rede von einem Wesenskern ist insofern unhistorisch, dann aber auch die Erwartung, die katholische Kirche könne sich nicht verändern, ohne ihre "Identität" aufzugeben. Das synodale Reformprojekt des Bergoglio-Pontifikats belegt dies ebenso wie der Blick in das katholische 19. Jahrhundert. In ihm wurde "Tradition" neu entwickelt, aber im Sinne übergeschichtlicher Wahrheit. Diese enttemporalisierte Form des Katholischen weist eine ironische Nähe zu Pollacks Beschreibung auf.

Scharfe Kritik übt Pollack an der Berichterstattung der Medien über die katholische Kirche. Mangels persönlicher Erfahrungen mit der Kirche nähmen viele Menschen sie nur noch über die Medien wahr. Da die Medien aber häufig klischeehaft, unfair und undifferenziert über die Kirche berichteten, beförderten sie Kirchenaustritte. Können Sie seiner Medienschelte zustimmen?

Die Nachrichten produziert die katholische Kirche selbst – nicht zuletzt im Missbrauchskomplex, der durchgreifende systemische Veränderungen in vielen Ortskirchen und auch in der römischen Zentrale immer noch nicht erkennen lässt. Es geht weiter, mit ständig neuen Schreckensmeldungen und Auskünften über das Versagen verantwortlicher Akteure.

Die Reformagenden des Synodalen Wegs setzen hier an – und schaffen durchaus auch positive Nachrichtenanlässe. Der Pressespiegel zu den Synodalversammlungen zeigt kompetente Analysen und unterschiedliche Meinungstönungen. Wie man aber beispielsweise in Köln angesichts der verfahrenen Situation positiver berichten sollte, wäre interessant zu lesen. Kirchenaustritte erfolgen nicht ursächlich wegen der Medien und auf der Basis ihrer vermeintlich undifferenzierten Berichterstattung, sondern nicht nur am Rhein aufgrund der kirchlich verantworteten Fakten. Dabei gehen die Kirchenaustritte nicht nur auf das Konto des Missbrauchs. Kirche vor Ort verschwindet auch mit dem Abbau und Verlust pastoralen Personals und gemeindlicher Anbindungen.

In Ihrem neuen Buch behaupten Sie, der römische Katholizismus befinde sich in Auflösung. Was meinen Sie mit dieser These? Und welche Rolle spielt bei diesem Prozess das Pontifikat von Papst Franziskus?

Für das Format eines spezifisch römischen Katholizismus sind verschiedene geschichtliche Phasen bestimmend. Der römische Kirchenbezug ist früh gegeben, mit der apostolischen Referenz auf Petrus und Paulus sinnbildlich verdichtet. Aber das römische Bestimmungsmotiv der katholischen Kirche gewinnt mit den gregorianischen Reformen seit dem 11. Jahrhundert, dann maßgeblich im 16. Jahrhundert mit dem Catechismus romanus, mit dem römischen Messbuch, später mit dem Ausbau der römischen Kirchenleitung nicht zuletzt als weltkirchlicher Missionszentrale an vereinheitlichender Kraft. Das gilt noch einmal anders und auf eigene Weise produktiv mit dem Ausbau päpstlicher Macht im 19. Jahrhundert – wobei der Jurisdiktionsprimat nachhaltiger wirkte als die Definition papaler Unfehlbarkeit. Das sind nur Bruchstücke in einem komplexen Ensemble römischer Katholizität, zu dem auch das Erbe römischer Rechtskultur gehört. Eindeutigkeit, Verlässlichkeit, ästhetische Anschauungsform im Repräsentationsmodus bilden ein römisch-katholisches Panoptikum, das sich in inneren Widerspruchsprozessen auflöst. Ambiguität statt dogmatischer Definitionssicherheit – das steht mit guten Gründen in Reformprozessen ebenso zur Diskussion wie die Art, in der ein Papst mit dem hohen Gut der Rechtssicherheit umgeht, wenn er eigene Bestimmungen unterläuft oder einfach ignoriert – etwa mit Ablauffristen bei offenen Rücktrittsgesuchen von Bischöfen. Vor allem stellt das Synodalprojekt das zentralrömische Kirchenmodell um. Synoden kannte die katholische Kirche schon in der Spätantike, aber eine wirklich synodale Kirche war sie bislang in ihren Entscheidungsprozessen seit der Neuzeit nicht. Das verändert nicht nur kirchenkulturell viel, sondern die globalkirchlichen Prozesse bilden neue, unterschiedliche Kraftzentren von Katholizität, die sich weder kommunikativ noch regulatorisch von Rom steuern lassen. Diese Umpolung zeigt sich bei den jüngsten Kardinalserhebungen, aber auch mit der Ernennung des neuen Präfekten im Dikasterium für die Glaubenslehre – inklusive öffentlichem Begleitschreiben des Papstes. Da vollzieht sich ein gouvernementaler Bruch. Die innere Pluralisierung der katholischen Kirche führt zu Spannungen, die sich weder mit gesteigerter Ambiguitätstoleranz noch mit römischer Kontrollmacht auflösen lassen. Das macht Auflösungsprozesse des römischen Katholizismus anschaulich, die ein neues, entwicklungsoffenes Paradigma von Katholizität in Aussicht stellen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)