"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
15. Folge: 7 Fragen an Christian Eberhart

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Die 15. Folge des MFThK-Kurzinterviews kommt aus Kanada. Christian Eberhart lehrt hier seit 2004 als Professor für Neues Testament an der University of Saskatchewan in Saskatoon. Nach dem Abitur auf dem Gymnasium Burgdorf und dem Studium der evangelischen Theologie, Religionswissenschaften und Judaistik promovierte er an der Universität Heidelberg bei Rolf Rendtorff mit Studien zur Bedeutung der Opfer im Alten Testament. Seine von Ruben Zimmermann betreute und im Sommer 2011 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz angenommene Habilitationsschrift ist gerade unter dem Titel "Kultmetaphorik und Christologie. Opfer- und Sühneterminologie im Neuen Testament" erschienen. Sie ist seiner Frau Véronique gewidmet.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Weil sich mein Buch mit einem grundlegenden Problem der christlichen Theologie und Kirche beschäftigt. Kaum eine Pastorin bzw. kaum ein Pastor predigt am liebsten zu Karfreitag, und viele wissenschaftliche Sühnekonzeptionen sind reichlich düster, propagieren sie doch noch immer problematische Vorstellungen wie gewaltsame Tötung und das Bild eines strafenden Gottes.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Ich zeige in meinem Buch zunächst, dass diejenigen, die z.B. das "Opfer Jesu" verstehen wollen, sich mit Opferritualen in alttestamentlichen und frühjüdischen Texten befassen sollten. Außerdem ist kultische Sühne durch die Vorstellung eines stellvertretenden Todes nicht angemessen beschrieben; sie assoziiert vielmehr ein Heilsgeschehen auf der konzeptionellen Grundlage kultischer Reinigung und Weihe. Solche traditionellen Vorstellungen wurden in frühchristlicher Christologie und Soteriologie verarbeitet. Kultische Metaphern im Neuen Testament beziehen sich deshalb weniger exklusiv auf Jesu grausamen Tod, sondern eher auf sein Leben bzw. seine gesamte Mission, also auf seine Proexistenz zugunsten der Menschen. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die Soteriologie des Neuen Testaments ein buntes Spektrum von Interpretationsansätzen umfasst, das es in seiner Vielfalt zu würdigen gilt.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Aufgrund der Zentralität von Kreuz und Abendmahl/Eucharistie müssen Kirchen aller Konfessionen und christliche Theologie immer wieder neu danach suchen, wie das Heil in Jesus Christus in den Texten der Bibel artikuliert worden und heute zu interpretieren ist. Das in meinem Buch behandelte Thema ist deshalb von bleibender Aktualität und Relevanz.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Prof. Dr. Hermann Spieckermann und Prof. Dr. Reinhard Feldmeier.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Die verbreitete Deutung eines stellvertretenden Sühnetodes bereitet heute Verständnisprobleme und erscheint vielen als anstößig; angesichts dessen zeige ich in meinem Buch u.a., inwiefern das neutestamentliche Opfermotiv die gesamte Mission Jesu versprachlicht und kultische Sühne ein Heilsgeschehen auf der konzeptionellen Grundlage von Reinigung und Weihe impliziert.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

1) Meine Biblia Hebraica Stuttgartensia
2) ...und meine Septuaginta, um über textliche Differenzen zur BHS zu meditieren.
3) Blair Stonechild: Buffy Sainte-Marie. It's My Way, da ich diese Biographie bisher erst halb gelesen habe (Buffy Sainte-Marie ist eine Cree-'Indianerin' hier aus Saskatchewan und hat z.B. Up Where We Belong und Universal Soldier komponiert).
4) André Glucksmann: Le bien et le mal.
5) Bill Watterson: There's Treasure Everywhere. A Calvin and Hobbes Collection.

7. Braucht das Christentum die Sühnekategorie überhaupt? Wäre es angesichts der Verständnisprobleme moderner Menschen nicht ratsam, auf den Begriff der Sühne zu verzichten?

Ich meine, dass das Christentum die Sühnekategorie trotz aller Verständnisprobleme braucht und nicht auf sie verzichten kann. Zentrum des christlichen Gottesdienstes ist das Abendmahl/die Eucharistie; dabei wird des Todes Jesu gedacht. Solange Christinnen und Christen diese Feier begehen, stellen sie selbstverständlich die Frage nach deren Bedeutung. Der neutestamentlichen Überlieferung zufolge hat Jesus selbst "Deuteworte" gesprochen und darin u.a. auf einen kultischen Blutritus im Rahmen des Sinaibundes Bezug genommen. Solche Riten fallen in den Bereich dessen, was allgemein als "Sühnekult" bezeichnet wird. Da Christen solche Rituale heute nicht mehr begehen, sind besagte Verständnisprobleme nur verständlich. Wir können die Bedeutung solcher alten Rituale natürlich anhand anderer, moderner Bilder und Konzepte erklären, die uns vertrauter sind. Dazu ist es aber nach wie vor nötig, dass sich wenigstens die exegetische Wissenschaft um ein möglichst akkurates Verständnis der antiken Rituale bemüht; erst dann können Erklärung und Aktualisierung gelingen.
Dem möchte ich einen weiteren Gedanken hinzufügen. Es ist meine Erfahrung, dass in Kirche und Theologie gerade dann, wenn Sühnethemen ausgeklammert werden, häufig problematische Interpretationen sowohl des Tempelkults im Alten Testaments als auch vieler christologisch-soteriologischer Aussagen im Neuen Testament angeboten werden, wie ich sie z.B. in meiner Antwort auf Frage 1 kurz angesprochen habe. Es kommt also zu Missverständnissen einerseits des Frühen Judentums, dessen Mittelpunkt der Tempel in Jerusalem war, und andererseits des Christentums, zu dessen zentralen Anliegen die Erklärung des Heilstodes Jesu am Kreuz gehört. Um solchen Tendenzen wirksam begegnen zu können, sollten sich Christinnen und Christen mit den biblischen Texten zum Tempelkult und davon abgeleiteten Metaphern und Konzepten intensiv auseinandersetzen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)