"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
16. Folge: 7 Fragen an Gregor Klapczynski

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Der katholische Theologe Gregor Klapczynski, seit kurzem Mitarbeiter am Institut für Weltkirche und Mission, stellte sich den Fragen des 16. MFThK-Kurzinterviews. Seine bei Hubert Wolf erstellte Promotionsschrift "Katholischer Historismus? Zum historischen Denken in der deutschsprachigen Kirchengeschichte um 1900. Heinrich Schrörs - Albert Ehrhard - Joseph Schnitzer" ist gerade als zweiter Band der Reihe "Münchener Kirchenhistorische Studien. Neue Folge" erschienen.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Von Historikern, die sich mit der eigenen Fachgeschichte im 19. Jahrhundert befassen - Stichwort: Historismus -, wird katholisches Geschichtsdenken häufig nicht oder nur mehr am Rande zur Kenntnis genommen. Katholische Theologiehistoriker, bei denen das naturgemäß anders ist, interessieren sich umgekehrt oft nur für die konfessionsspezifischen Problemkonstellationen, die damals herrschten - Stichwort: Modernismus -, aber nicht für die allgemeineren geistesgeschichtlichen Zusammenhänge. Ich versuche in meinem Buch, beide Perspektiven am Beispiel dreier Kirchenhistoriker dieser Zeit in Verbindung zu bringen, und zwar so, dass ich die Modernismuskrise als spezifisch katholische Variante der Historismuskrise deute. Ich glaube, dass aus diesem interdisziplinären Ansatz für alle Seiten ein wirklicher Erkenntnisgewinn herausspringt: für Historiker, für Theologen - und für uns Kirchenhistoriker sowieso.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Wenn es um das Verhältnis der katholischen Kirche zur Moderne geht, dann wurden schon um 1900 und werden zum Teil noch heute gerne diametrale Gegensatzpaare bemüht. Die spannungsreiche Beziehung von katholischer Theologie und moderner Geschichtswissenschaft ist nur ein, allerdings sehr wichtiges Paradebeispiel, an dem sich aufzeigen lässt, dass die tatsächlichen Verhältnisse deutlich vielfältiger und komplexer waren, als solche Dualismen glauben lassen. So denunzierte etwa die kirchliche Hierarchie einige Theologen, die mit historischen Methoden arbeiteten, als Relativisten, und diese wehrten sich, indem sie dem Lehramt umgekehrt dogmatischen Absolutismus vorwarfen. Noch heute halten sich Argumentationsfiguren, denen zufolge die damaligen neuscholastischen Philosophen und Theologen gar nicht in der Lage gewesen seien, historisch zu denken, wohingegen für andere die historischen Theologen des Fin de siècle per se nicht mehr ganz katholisch waren. Meine Arbeit stellt den Versuch dar, unterschiedliche Stimmen gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen: solche Kirchenhistoriker, die für relativistische Modernisten gehalten wurden, solche, die als dogmatische Antimodernisten gelten konnten, und schließlich auch solche, die sich (meist erfolglos) als Vermittler betätigten. Nimmt man alle Seiten zusammen und jede einzelne argumentativ ernst, dann ergibt sich ein sehr viel differenzierteres Panorama katholischen Geschichtsdenkens um 1900, als man sich das bislang vorstellte. Ich löse damit nicht das Problem von Theologie und Geschichte. Aber vielleicht kann ich einen Beitrag dazu leisten, die Diskussionen auf eine neue Grundlage zu stellen. Das wäre auf dem verminten Feld von Religion und Moderne ja schon einmal etwas.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Nach wie vor toben die Deutungskämpfe um das Zweite Vatikanische Konzil. So streiten alte Liberale und neue Konservative, ob das Konzil in der Kontinuität der kirchlichen Lehrtradition stehe oder aber als ein Bruch mit ihr zu deuten sei. Man kann meines Erachtens zur historischen und theologischen Versachlichung dieser Fragen vor allem dadurch beitragen, dass man das Konzil theologiegeschichtlich kontextualisiert. Für ein Verständnis sowohl des Konzilsereignisses selbst als auch seiner Rezeption sind aber die Historismus- und Modernismusdebatten der vorvergangenen Jahrhundertwende von schlechthin grundlegender Bedeutung. Hier bildeten sich unter dem Einfluss bestimmter Denktraditionen jene diskursiven Strategien heraus, mit denen dann Jahrzehnte später die historische Kontinuität des Konzils behauptet oder bestritten werden konnte. Dieser Zusammenhang verleiht der in meinem Buch behandelten Thematik sicher eine gewisse Bedeutung für die Gegenwart.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Wenn das möglich wäre, könnte ich mir eine Buchbesprechung im Rahmen eines Literarisches Quartetts spannend vorstellen, das in bunter Mischung mit, sagen wir, Johann Adam Möhler, Joseph Kleutgen, John Henry Newman und Ernst Troeltsch besetzt wäre. Von den Heutigen würde mich besonders die Meinung von Friedrich Wilhelm Graf interessieren.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Weil die Jahre um 1900 eine Zeit intensiv empfundener Krisenhaftigkeit sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in der katholischen Kirche waren, und weil sich diese Modernitätskrisen innerhalb der Theologie sozusagen in der Potenz verdichteten, deshalb ist aus der Beschäftigung mit historischen Theologen von damals viel zu lernen - auch für heute!

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Albert Camus, La Chute
Giovanni Boccaccio, Decamerone
Hermann Hesse, Steppenwolf
Adam Mickiewicz, Pan Tadeusz (samt Lehr-, Wörterbuch und Grammatik des Polnischen)
und für die geistige Fitness: Thomas Pröpper, Theologische Anthropologie

7. Die Antwort auf die Frage, wie hältst Du es mit der Religion?, geht Historikern inzwischen leichter über die Lippen als noch vor Jahren. Schwieriger ist da schon die Antwort auf die Frage an den Kirchenhistoriker: Wie hältst Du es mit der Theologie? Was ist Ihre Antwort?

Mit Blick auf Ihre erste Beobachtung wird man sicher genau differenzieren müssen. Ich schaue mich zum Beispiel momentan ein wenig in der frühneuzeitlichen Missionsgeschichte um und stelle fest, dass die inhaltlich und methodisch anspruchsvollsten und innovativsten Forschungsansätze auf diesem Gebiet zur Zeit in der Tat von Historikern kommen, nicht von Theologen. Die Kirchengeschichte scheint da nach jahrzehntelangem Quasimonopol zuletzt ein wenig den Anschluss verloren zu haben. Aber die Gretchenfrage, auf die Sie anspielen, wird doch von den meisten Historikern aus ihrer Betrachtung selbstverständlich ausgeklammert. Sie befassen sich intensiv mit Religion, sagen aber gerade nicht, wie sie es mit ihr halten. Eine Kirchenhistorikerin/ein Kirchenhistoriker als historische Theologin/historischer Theologe kann nach meiner Überzeugung genau darauf aus Gründen der wissenschaftlichen Redlichkeit nicht verzichten, und damit bin ich bei Ihrer eigentlichen Frage. Die Kirchengeschichte gilt als eine Schwellendisziplin zwischen Theologie und Geschichte - mit Recht! Was das aber konkret heißt, ist in der fachlichen Selbstreflexion heiß umstritten und wird es sicher bleiben. Nur soviel scheint klar, dass in der Kirchengeschichte weder historisch gearbeitet werden sollte unter völligem Verzicht auf die Theologie noch theologisch unter völligem Verzicht auf die Geschichte. Wenn das wissenschaftstheoretische Grundproblem der Kirchengeschichte überhaupt darüber hinaus gelöst werden kann, dann müsste meiner Meinung nach diese Lösung am ehesten in einer Richtung liegen, die von der Annahme ausgeht, dass sowohl die Theologie als auch die Geschichtswissenschaft hermeneutische Wissenschaften sind. Ich bin in Münster mit der Vorstellung groß geworden, dass so etwas wie eine theologische Hermeneutik möglich ist, die sowohl vor dem Forum der Vernunft als auch vor dem Forum des Glaubens bestehen kann. Beziehen sich aber Theologie und Geschichte auf ein und dieselbe Wirklichkeit, dann sollte doch zumindest denkbar sein, dass sich der Weg zu einer genuinen "theologischen Historik" anbahnen lässt, die das, was ja in der kirchenhistoriographischen Praxis ohnehin tagtäglich geschieht, geschichtstheoretisch aufzuklären hilft. Für wichtig halte ich, dass eine solche theologische Historik nicht abstrakt konzipiert wird. Sie darf die tatsächlich aufgetretenen und weiterhin auftretenden Konflikte im Verhältnis von Vernunft und Glaube, von Theologie und Geschichte nicht ausblenden, sondern muss sie ganz im Gegenteil zum Prüfstein der eigenen inneren Konsistenz machen. Würden sich Historiker, Kirchenhistoriker und systematische Theologie unter dieser Prämisse gemeinsam an einen Tisch setzen, dann könnte da nach meiner Einschätzung durchaus etwas herauskommen, womit sich sowohl das Gretchen als auch der Dr. Faust zufrieden geben könnten.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)