"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
21. Folge: 7 Fragen an Hansjürgen Verweyen

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Ist Gott die Liebe? Spurensuche in Bibel und Tradition heißt das neue Buch des Freiburger Fundamentaltheologen Hansjürgen Verweyen. Hier sind seine Antworten auf die Fragen des MFThK-Kurzinterviews:

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Die Welt braucht Bücher dieser Art nicht nur. Sie kann sie geradezu einfordern. Im Lebensraum und/oder Machtbereich des Judentums, Christentums und Islams wurde am meisten eigenes oder fremdes Blut vergossen. Von den theologischen Vertretern dieser Religionen darf man verlangen, daß sie anhand einer kritischen Lektüre der für sie verbindlichen Schriften eine ehrliche Antwort auf die Frage suchen, ob der Gott, an den sie glauben, wirklich die Liebe ist. Geben diese Schriften keine hinreichende Basis für diesen Glauben her, dann sollten seine Verfechter sich des Redens über Gott enthalten, um keine wertvolle Zeit im Kampf gegen das Leiden in dieser Welt zu verlieren.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Neu ist die Art und Weise, wie eine Antwort auf Fragen, die heute vor allem in der systematischen Theologie diskutiert werden (s. 3), anhand von markanten Texten aus der Glaubensgeschichte Israels und dem Neuen Testament sowie einigen Beispielen aus der christlichen Kunst und Liturgie gesucht wird. Besonders der Einfluß apokalyptischen Denkens steht dabei im Mittelpunkt. Während die Rabbinen sich von diesem Denken weitgehend lösen konnten, hat es beträchtlichen Schaden in der christlichen Tradition angerichtet.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Neben dem ungelösten Theodizeeproblem ist gegenwärtig die Frage, ob der Tod Jesu als Sühnetod verstanden werden muß, ins Zentrum der Diskussion gerückt. Daß Jesus für unsere Sünden gestorben ist, steht für mich unverbrüchlich fest. Unvereinbar mit einem Glauben an die Liebe Gottes erscheint mir aber das Verständnis dieses Todes als Sühnopfer, Lösegeld oder Genugtuung für etwas, das Gott zu fordern hat. Den Widerspruch, der sich aus diesen beiden Aussagen zu ergeben scheint, versuche ich im Blick auf den Tod Jesu zu beheben, wie er im Markusevangelium dargestellt ist. Ist diese Interpretation vertretbar, dann ergäben sich daraus wichtige Anstöße für ein tieferes Verständnis z.B. der Eucharistiefeier.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit historisch-kritischen Exegeten, die das Eindringen von Amateuren aus der systematischen Theologie in das ihnen zugehörige Revier nicht nur dulden, sondern für die gemeinsame Jagd nach Wildschweinen sogar begrüßen und sie mit Hilfe ihrer Sachkenntnis für dieses Unternehmen besser zuzurüsten bereit sind.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Trotz einer überwältigenden Menge von Belegen, die gegen die Annahme sprechen, daß Gott die Liebe ist, führt eine sorgfältige Spurensuche in Schrift und Tradition zu dem Ergebnis, daß er die Quelle der Liebe ist, die wir ersehnen und ständig verfehlen.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Die Bibel in Form der Biblia Hebraica Stuttgartensia, der Septuaginta nach Rahlfs-Hanhart, des griechischen Neuen Testaments nach Nestle-Aland, der Synopse der vier Evangelien nach Aland, eine gute deutsche Bibelübersetzung.

7. Die siebte Frage stammt von dem Bochumer Exegeten Jürgen Ebach:
Sie, lieber Herr Kollege Verweyen, suchen in den biblischen Zeugnissen nach Spuren zur Begründung der Lehre, Gott sei die Liebe, und Sie bewerten die biblischen Texte letztlich nach dem Maßstab dieser Lehre. Aber, so fragt ein evangelischer Exeget einen katholischen Systematiker: Hat sich die Bibel vor der kirchlichen Lehre oder hat sich die kirchliche Lehre vor der Bibel zu verantworten?
Ist die Lehre, Gott sei allein Liebe, nicht eine Verkürzung der in der Bibel selbst begegnenden Spannung in Gott selbst, der Spannung zwischen Liebe, Macht und Gerechtigkeit? Wie kann Gott zugleich gütig und mächtig, barmherzig und gerecht gedacht und geglaubt werden? Im Kanon der "Schrift" begegnet dazu eine bis zu Widersprüchen reichende Vielfalt von Antwortversuchen. Ist diese verbindliche biblische Vielfalt nicht jeder einlinigen Gotteslehre voraus - selbst wenn die Vorstellung von Gott allein als Liebe uns heute so sympathisch ist?

Die kirchliche Lehre hat sich vor dem von ihr selbst als für sie selbst verbindlich erklärten Kanon der Schriften zu verantworten. Aber auch biblische Einzelaussagen wie "Gott ist (die) Liebe" (1 Joh 4,16) müssen dann auf dem Hintergrund des gesamten Kanons auf ihren Sinn befragt werden. Von dieser Frage gehe ich aus, nicht von einer "Vorstellung von Gott allein als Liebe (, wie sie) uns heute so sympathisch ist".
Die Prädikate "Macht" und "Gerechtigkeit" werden Gott schon in der Bibel oft aus einer Perspektive zugesprochen, die vom Drang zur Theokratie, vom patriarchalischen Denken und vom Ressentiment im Sinne Nietzsches geprägt ist. Hosea, Kap. 1-3, zeigt sehr anschaulich, wie Gott selbst die ihm zugeschriebenen Wesenszüge von Macht und Gerechtigkeit zugunsten einer uns töricht erscheinenden Liebe überschreitet. Dahinter sollte der christliche Glaube nicht zurückbleiben.
Dies scheint aber dadurch der Fall zu sein, daß der Kreuzestod Jesu für unsere Sünden als Sühnetod, Lösegeld usw. verstanden wird. Anselm zufolge erweist sich Gottes Liebe darin, daß er barmherzig und gerecht zugleich ist. Das heißt aber: Gott erweist dem Sünder seine Liebe nicht ohne Genugtuung. Die Darstellung des Todesschreis Jesu bei Markus könnte zeigen, daß Sünde schlimmer ist als eine Beleidigung Gottes. Die von Menschen ausgeübte Brutalität macht Gott in einer Tiefe leiden, die noch über das unaussprechliche Leid der Opfer von Gewalt hinausgeht.
Im "Schauen auf den, den sie durchbohrt haben" (Joh 19,37) würde dann der Blick von der Frage: "Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?" auf die gelenkt werden, die wegen unseres fehlenden Verständnisses für ihr Anderssein durch eine von Lieblosigkeit bis zu abgrundtiefem Haß geprägte Haltung zugrunde gehen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)