"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
23. Folge: 7 Fragen an Isolde Karle

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Mit Isolde Karle, Professorin für Praktische Theologie an der Universität Bochum, beantwortet nun erstmals eine evangelische Theologieprofessorin die Fragen des MFThK-Kurzinterviews. Ihr neues Buch heißt "Liebe in der Moderne – Körperlichkeit, Sexualität und Ehe".

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Weil Körperlichkeit, Liebe, Sexualität und Ehe relevante Themen sind und weil in der Theologie noch niemand die soziologische Analyse so mit der theologischen Tradition verbunden hat.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Die Themen Körperlichkeit, Sexualität und Ehe wurden in den letzten Jahrzehnten von theologischer Seite vernachlässigt. Zugleich hat sich auf diesem Feld ein erheblicher gesellschaftlicher Wandel vollzogen. Ich versuche über diesen Wandel soziologisch aufzuklären, zu einer leib- und menschenfreundlicheren Theologie zu ermutigen, ethische Orientierung zu bieten und Konsequenzen für eine gelassenere kirchliche Praxis anzudeuten. Außerdem versuche ich zu zeigen, warum es auch in der Optionsgesellschaft attraktiv sein kann, am Ideal lebenslanger Beziehung und Liebe festzuhalten.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Die heftigen Debatten zur EKD-Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit" und die Vertagung der Denkschrift zur Sexualethik zeigen, wie brisant vor allem die Themen Sexualität und Ehe sind. Das gilt aber nicht nur für die evangelische Kirche, sondern auch für die katholische Kirche, die auf diesem Feld eher noch einen weiteren Weg vor sich hat. Es ist deshalb wichtig, einerseits zu einer sozialwissenschaftlich wie theologisch begründeten Toleranz (von Homosexuellen, Intersexuellen etc.) zu ermutigen und die Ehe für alle zu öffnen. Andererseits ist zu zeigen, dass und warum Ehe und Familie keineswegs veraltete Lebensformen darstellen, sondern in modernisierter Form nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt haben. Hier sind die Anschlüsse an die Einsichten der Reformatoren besonders spannend. Sie plädierten für eine weltzugewandte Theologie, eine Bejahung der Sexualität, für gelingende Beziehungen in Ehe und Familie, im Konfliktfall aber auch für Scheidung und Wiederheirat.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Jane Austen. Ich beziehe mich im Buch auf sie und ihr "vernünftiges" romantisches Liebesideal und fände es sehr spannend, von ihr zu hören, welche Chancen sie der romantischen Liebe in unserer zweckrationalen Welt noch geben würde bzw. wie sie sie wieder verlebendigen würde.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Körperlichkeit und Sexualität sind wunderbare Schöpfungsgaben Gottes, an denen wir uns ganz selbstzwecklich freuen, mit denen wir aber auch verantwortungsvoll umgehen sollten.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Die Bibel, das evangelische Gesangbuch, "Stolz und Vorurteil" und "Emma" von Jane Austen und einen Krimi von Henning Mankell.

7. Die siebte Frage stammt von der katholischen Theologin Stefanie Knauß, Professorin an der Villanova University in Pennsylvania (Jüngste Veröffentlichung: "More than a Provocation: Sexuality, Media and Theology"):

In Ihrem Buch zeichnen Sie im Kontext aktueller sozialer Veränderungen in Bezug auf Körperlichkeit, Sexualität und Liebe ein positives Bild der Ehe und argumentieren, dass die Ehe heute weit weniger überholt sei als angenommen. Wie passt das zu der Tatsache, dass in Deutschland ein Drittel der Erwachsenen als Singles leben und nach einer aktuellen Umfrage aus den USA sogar mehr als die Hälfte der Bevölkerung dort?

Die Ehe hat sich modernisiert und mit der Eherechtsreform von 1977 ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Sie steht nicht mehr für ein patriarchales Geschlechterarrangement, sondern für den Wunsch, eine lebenslange Partnerschaft auf Augenhöhe zu leben. Dieser Wunsch ist auch in der nachwachsenden Generation ungebrochen. Eine aktuelle Umfrage unter den 18- bis 35-Jährigen zeigt, dass 93 Prozent Treue wichtig oder sehr wichtig finden. 97 Prozent können sich vorstellen, mit dem derzeitigen Partner alt zu werden und 78 Prozent glauben an die große Liebe. Auch die meisten Singles (81 Prozent) sind nicht freiwillig allein, sondern wünschen sich einen Partner. Ca. 80 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland geht mindestens einmal im Leben eine Ehe ein und das obwohl eine Ehe heute in der Regel ganz und gar intrinsisch motiviert geschlossen wird und es keinerlei gesellschaftliche oder kulturelle Zwänge mehr dazu gibt. Im Übrigen ist die Verheiratetenquote heute nur rückläufig im Vergleich zum "golden age of marriage" der 1960er Jahre, in dem es mehr Verheiratete als je vorher in der Geschichte gab. Soziologisch lässt sich zeigen, dass die mit einer Eheschließung verbundenen Rituale, neu entstehenden sozialen Netzwerke und Verbindlichkeiten die Nachhaltigkeit einer Partnerschaft fördern. Da die Kirche ein Interesse an nachhaltigen Beziehungen hat, sollte sie sich nicht nur für die heterosexuelle Ehe, sondern auch für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare einsetzen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)