"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
26. Folge: 7 Fragen an Marianne Heimbach-Steins

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
In der neuen Folge beantwortet mit Marianne Heimbach-Steins erstmals eine Theologieprofessorin an der Universität Münster die Fragen des MFThK-Kurzinterviews. Ihr neues Buch trägt den Titel: Grenzverläufe gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Migration – Zugehörigkeit – Beteiligung.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

... weil in der gegenwärtigen politisch aufgeheizten Debatte um Migration, Flüchtlinge und die Integrationskraft unserer Gesellschaften Beiträge zu einer multiperspektivischen ethischen Auseinandersetzung dringend notwendig sind.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Ich plädiere für einen Perspektivenwechsel. Es kommt darauf an, die Herausforderungen durch Migration und Flucht nicht nur aus der Sicht der europäischen Aufnahmegesellschaften wahrzunehmen, sondern auch die Perspektive der Migrantinnen und Migranten gelten zu lassen. Mein Anliegen ist es, in der politischen und gesellschaftlichen Debatte immer noch nachwirkende "kolonialistische" Verstehensmuster bewusst zu machen und überwinden zu helfen.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Die immense gesellschaftliche Aktualität des gesamten Themenkomplexes Migration und Flucht kann weder an den Kirchen noch der Theologie spurlos vorbeigehen. Es handelt sich um ein epochales Phänomen, das theologisch als "Zeichen der Zeit" zu entziffern ist. Eine Welt, die so in Bewegung ist, in der sich kulturelle und religiöse Grenzen derart verschieben, fordert unsere Fähigkeiten zur Verständigung über die Grundlagen des Zusammenlebens, über Gerechtigkeitsfragen und Vorstellungen des guten Lebens heraus.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Hannah Arendt - und mit Doris Salcedo, der Künstlerin, auf deren Werk "Shibboleth" ich mich in meinem Buch immer wieder beziehe.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Es ist der Versuch, Konturen einer postkolonialen Migrationsethik in christlicher Perspektive zu skizzieren und zu begründen.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Die Bibel
Richard Exner, Erinnerung an das Licht. Gedichte 2003-2006
Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten
Saskia Sassen, Das Paradox des Nationalen
Ein leeres Notizbuch

7. Der katholische Sozialethiker Axel Bernd Kunze hat in einem Kommentar beklagt, der ethischen Debatte über die Flüchtlingspolitik sei vielfach das rechte Maß abhanden gekommen. Er führt dies auf die Dominanz einer Gesinnungsethik zurück. Auch Rüdiger Safranski rekurriert in seiner Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik auf Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Da "zwei Drittel der Weltbevölkerung in Deutschland asylberechtigt" seien, plädiert er für eine Reform des deutschen Asylrechts. Angesichts der Tatsache, dass "Millionen Menschen auf dem Wege" nach Europa und insbesondere nach Deutschland seien, macht sich auch Rupert Neudeck für ein neues Asylrecht stark. Wie positionieren Sie sich in dieser Debatte?

Die Debatte ist in hohem Maße emotionalisiert, es ist viel Polemik im Spiel, teilweise wird in fahrlässiger Weise simplifiziert. Axel Bernd Kunze hat recht, wenn er – wie etliche andere Stimmen auch – darauf verweist, dass es nicht ausreicht, sich auf hehre Prinzipien zu berufen, ohne die Realitäten differenziert und mit Blick auf die Folgen politischer Prozesse und Entscheidungen wahrzunehmen. Mangelnde Achtsamkeit auf die Folgen ist m. E. auch zu kritisieren, wenn in Debattenbeiträgen sehr verschiedene Dinge in einen Topf gerührt werden, Kategorien verunklart werden, so dass Desinformation entsteht, Abwehrhaltungen bedient und Ängste in der Bevölkerung geschürt werden. Die Behauptung, zwei Drittel der Weltbevölkerung seien in Deutschland asylberechtigt, verzerrt das Bild völlig. Asylberechtigt sind nur individuell (politisch) Verfolgte. Schon für Bürgerkriegsflüchtlinge gelten eigene Regeln; für Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Armut, ökologischer Auszehrung und Perspektivlosigkeit verlassen, ist das Asylrecht ebenfalls nicht das Tor nach Europa. Das individuelle Asylrecht ist ein hohes – allerdings heute auch in Deutschland nur noch sehr eingeschränkt zugängliches – Gut. Für dieses Recht kann es in der Tat ebenso wenig eine "Obergrenze" geben wie die Achtung der Menschenwürde rechtlich und ethisch zur Disposition gestellt werden darf. Die Tatsache, dass sie dennoch notorisch mit Füßen getreten wird, ist der Grund, weshalb es verlässliche Schutzansprüche unbedingt braucht. Nicht das Asylrecht ist das Problem, sondern das Fehlen eines umfassenden Einwanderungsrechtes, das den Zugang für die vielen Menschen, die nicht asylberechtigt sind und nicht alle aufgenommen werden können, regelt und begrenzt – und zwar auf eine faire Weise. D.h. so, dass die berechtigten Anliegen der Zielländer – insbesondere die Sicherstellung des sozialen Friedens in der Gesellschaft und eine langfristig tragfähige Entwicklungsperspektive – umgesetzt werden können, ohne dass die Einwanderungswilligen pauschal als "Wirtschaftsflüchtlinge" kriminalisiert werden, und sie eine faire Chance haben, sich um die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft zu bewerben, in der sie sich aus keineswegs trivialen Gründen Lebens- und Arbeitsperspektiven erhoffen.

8. Aus aktuellem Anlass ausnahmsweise noch eine achte Frage: Die von Kardinal Woelki unterzeichnete und von Hans-Joachim Höhn gelobte "Kölner Botschaft" erklärt, dass die Unterzeichnenden sich einig seien, "dass eine unkontrollierte Zuwanderung solchen Ausmaßes, wie wir sie seit dem Herbst beobachten, nicht von Dauer sein kann. ... Eine Flüchtlingspolitik, die human, gerecht und auch langfristig ausgerichtet ist, kann es nur im europäischen Verbund geben." Eine Flüchtlingspolitik "im europäischen Verbund" wird allerdings täglich unwahrscheinlicher und die sich mehrenden Stimmen, welche die Sorge artikulieren, dass die Flüchtlingspolitik Merkels die Sicherstellung des sozialen Friedens in der deutschen Gesellschaft gefährdet, können kaum allesamt als Emotionalisierung der Debatte oder Alarmismus gewertet werden. Was ist die Aufgabe einer christlichen Sozialethik in dieser Debatte, kann sie nur Orientierungsmarken setzen oder muss sie auch konkrete Wege zur Begrenzung des Flüchtlingszuzugs aufzeigen?

Die "Kölner Botschaft" ist ein bemerkenswert differenzierter Text, dessen Argumente meine volle Zustimmung finden. Die von den UnterzeichnerInnen dringend geforderte Versachlichung der Debatte ist ein zentrales Anliegen, zu dem auch die christliche Sozialethik beitragen kann und muss, um die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine vernünftige Asyl-, Flüchtlings-, Einwanderungs- und Integrationspolitik sichern zu helfen. Die Alternative, "nur Orientierungsmarken zu setzen" oder "konkrete Wege zur Begrenzung des Flüchtlingszuzugs aufzuzeigen", halte ich nicht für zielführend. Die politische Prüfung von Wegen und Maßnahmen zur Begrenzung des Flüchtlingszuzugs braucht Kriterien, nicht zuletzt ethische Kriterien. Deshalb ist es eine wesentliche Aufgabe der Sozialethik, mögliche Handlungsalternativen argumentativ zu prüfen - abzuwägen zwischen den Rechten und Bedürfnissen der Schutzsuchenden einerseits und den Gemeinwohlbelangen der aufnehmenden Gesellschaften andererseits – und zugleich Grenzen der Abwägungsfähigkeit aufzuzeigen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)