"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
3. Folge: 7 Fragen an Ralf Lutz

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages. Der dritte Interview-Partner nach Hans-Dieter Mutschler und Denis Schmelter ist der Tübinger Theologe Ralf Lutz. Mit seiner kürzlich erschienenen Monographie Der hoffende Mensch - Anthropologie und Ethik menschlicher Sinnsuche wurde er bei dem Moraltheologen Gerfried Hunold an der Universität Tübingen promoviert.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Hoffnung kann als eine der wichtigsten (Handlungs-) Ressourcen des Menschen gelten, der aber im Unterschied zu ihrer tatsächlichen Bedeutung vonseiten theologischer Ethik zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde.
So ist sie in allen Epochen der Geistesgeschichte bis heute vielfach anzutreffen und Gegenstand zahlreicher Appelle - aller Enttäuschungen zum Trotz. Auch für unsere alltägliche Lebenspraxis wissen wir um die Unentbehrlichkeit hoffnungsgetragener Haltungen. Aber theologisch wurde sie nicht selten zwischen dem Nachdenken über Glauben und Liebe vernachlässigt, philosophisch in die Affektenlehre abgedrängt und als wissenschaftliches Thema insgesamt marginalisiert. Dabei liegen auch aufseiten der Humanwissenschaften, insbesondere der Psychologie, der Psychotherapie und der Psychosomatik, viele wichtige (empirische) Einsichten zur Hoffnung im weiteren Sinne vor. Die Sache der Hoffnung wird damit in vielen wissenschaftlichen Disziplinen zwar verhandelt, allerdings unter den unterschiedlichsten begrifflichen und denkerischen Voraussetzungen.
An dieser Stelle setzt die Notwendigkeit meiner Arbeit an, indem sie die Vielfalt der Zeugnisse aus Theologie, Philosophie und Humanwissenschaften verbinden und mit dem Wissen um ihre hohe lebenspraktische Relevanz auf eine integrative Theorie der Hoffnung zusammenführen sollte. Denn erst auf diese Weise konnte sie dem Handlungssubjekt und damit der Handlungspraxis wieder zurückgeben werden und als begründete Hoffnung ihre Wirkungen entfalten - nachhaltige Mobilisierung und Energetisierung des Handlungssubjekts.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Die klassische theologische Tugend der Hoffnung für menschliche Handlungspraxis als notwendig auszuweisen und damit deren moralische Relevanz unter Beweis zu stellen, ist zentrales Ziel der Arbeit. Anhand einer breiten trans- und interdisziplinären Erschließung einschlägiger Einsichten aus Philosophie, Theologie und empirischen Humanwissenschaften wurde eine Ethik der Hoffnung, eine integrative Theorie der Hoffnungspraxis entwickelt, die zeigt, dass begründete Hoffnung keine fiktive und mitunter gefährliche, weil verführerische, Spekulation darstellt, sondern der Hoffnungsvollzug eine tiefe naturale Verankerung im Menschen besitzt. Wir können praktisch nicht über menschliches Handeln sprechen, ohne nicht zugleich auch über spezifisch menschliche Hoffnungen zu sprechen - und über deren Wirkung: Wiederherstellung, Aufrechterhaltung und Steigerung der Handlungsfähigkeit des Menschen durch Ermöglichung erstaunlicher Motivationskräfte. Christliche Hoffnung greift nun alle diese Strukturen natürlicher Hoffnung konstruktiv auf, übersteigt sie und und verbürgt sie zugleich in der lebens- und sinnstiftenden, weil todesüberwindenden, Macht des Auferstandenen. Damit wurde eine anthropologische Grundlegung der theologischen Tugend der Hoffnung möglich.
Damit konnte neben dem "WAS" der Hoffnung, ihrem Gegenstand, insbesondere das "WIE" der Hoffnungspraxis bedacht werden. Darüber wurde bislang zu wenig nachgedacht - ganz im Gegensatz zur immer wieder stipulierten Bedeutung der Hoffnung für menschliche Existenz. Um diese Synthese begrifflich erschließen zu können, wurde eine neue Methodologie zur Integration empirischer Einsichten in die Theoriebildungen der (Theologischen) Ethik entwickelt und damit ein neues Modell zur Vermittlung von empirischen Einsichten mit ethischen Begriffen vorbereitet.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

In Krisen- und Umbruchszeiten, die zu Resignation und Ohnmacht neigen, neu zu begründen, wie christliche Hoffnung im Menschen verankert werden kann, welche strukturellen Voraussetzungen sie für ihre Realisierung kennt, welche energetisierende Wirkungen sie haben kann und insbesondere welchen Beitrag das Christentum zu leisten vermag, könnte wichtige Impulse für die Glaubenspraxis setzen:
1. Ein vertieftes Verständnis des christlichen Propriums gegenüber allen natürlichen Hoffnungspotentialen zur Etablierung begründeter Hoffnung.
2. Ein Aufweis der Handlungsrelevanz der christlichen Hoffnung kann etwas von der enormen Dynamik verstehbar machen, die das Christentum entfaltet hat, reflexiv und handlungsmäßig.
3. Die kaum zu überschätzende moralische Bedeutung der Hoffnung drückt sich etwa in der Mobilisierung von Handlungsmotivation aus - nicht selten unter widrigsten Bedingungen - und in ihrer Fähigkeit, damit alle Bereiche menschlicher Selbst- und Weltdeutung auf ihre eigene Mitte hin, den Auferstandenen, zu integrieren.
Der Mensch hat sich trotz der gesellschaftlichen Malaise utopischer Kräfte - wieder neu - als auf Hoffnung angelegtes und angewiesenes Wesen zu begreifen, als homo sperans, und diese als eine seiner vitalsten Kräfte, deren innere Struktur zu verstehen für individuelle Lebensgestaltung und die Gestaltung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse unentbehrlich ist - erst recht in der Gestalt spezifisch christlicher Hoffnung. Damit zeigt sich das Christentum wieder neu als Religion der Hoffnung, die alle Wirklichkeitsbereiche des Menschen zu durchdringen vermag.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Jürgen Moltmann, Thomas Pröpper und Wolfhart Pannenberg; im Geiste mit Viktor Frankl, Karl Rahner und Sören Kierkegaard.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Christliche Hoffnung ist tief in die leib-seelisch-geistige Konstitution des Menschen eingeschrieben, da sie alle natürlichen Hoffnungsstrukturen konstruktiv aufnimmt und diese auf einen letzten verbürgten Hoffnungsgrund hin orientiert, was für menschliche Handlungspraxis starke Motivationspotentiale freisetzt.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

1) Die Heilige Schrift
2) Die Nikomachische Ethik des Aristoteles
3) Die Summa Theologiae des Thomas von Aquin
4) Die Kritik der praktischen Vernunft von Immanuel Kant
5) Die Apophtegmata Patrum
6) Als sechste würde ich noch versuchen einzuschmuggeln: Die Duineser Elegien von Rainer Marie Rilke

7. Welche (theologischen) Bücher / Themen müssten dringend geschrieben / bearbeitet werden?

Nach wie vor denke ich, dass die Theologische Anthropologie mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, um grundlegende Glaubensartikel auf den Menschen hin deuten zu können. Daher müsste auch die gegenwärtige Glaubens- und Lebenspraxis der Menschen viel stärker mit Theologumena verbunden werden. Auch steht, wie mir scheint, eine selbstbewusste Beschäftigung mit dem christlichen Proprium auf dem Plan, insbesondere was die Rolle des Christentums in modernen Gesellschaften anbelangt. Da lassen wir zu viele Debatten von anderen Disziplinen dominieren, wiewohl es unsere ureigene Aufgabe wäre.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)