"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
30. Folge: 7 Fragen an Patrick Becker
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb 2012 eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Die vierte Folge des Jahres 2017 kommt aus Aachen. Hier arbeitet seit 2010 der katholische Fundamentaltheologe Patrick Becker. Gerade ist seine an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg eingereichte Habilitationsschrift erschienen: Jenseits von Fundamentalismus und Beliebigkeit. Zu einem christlichen Wahrheitsverständnis in der (post-)modernen Gesellschaft.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Das Buch verfolgt das Anliegen, eine in der katholischen Kirche wie auch anderen christlichen Konfessionen und nichtchristlichen Religionen anzutreffende Auseinandersetzung verstehbar zu machen und zu entschärfen. Es basiert auf einer Erfahrung, die ich bereits in meiner kirchlichen Jugendarbeit machen musste, dass nämlich etwa bei Bischofsernennungen oder bei der Installation neuer Pfarrer immer zentral die Frage gehandelt wurde, ob es sich um eine eher rechts-konservativ oder links-modern ausgerichtete Person handelt. In den letzten Jahren ist mir eine Fülle von Artikeln in säkularen Zeitungen begegnet, die in der Kirche ein Lagerdenken ausmachen, das genau auf dieser Dichotomie basiert. In der Herder Korrespondenz kann man in fast jeder Ausgabe einen Beitrag finden, der entweder explizit ein scharfes konservativ-liberal-Schema verwendet oder implizit bedient, indem er sich auf eine der beiden Seiten schlägt – aktuell etwa zum Einsatz des Jugendkatechismus oder zur Familiensynode.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

In dem Buch analysiere ich den Hintergrund dieser Gegenüberstellung und finde ihn in einem grundlegenden Unterschied im Wahrheitsverständnis. Den Kernpunkt sehe ich im Umgang mit Pluralität bzw. Einheit: Während das eine Wahrheitsverständnis eher auf Eindeutigkeit und Einheit aus ist, liegt dem anderen die positive Wertschätzung von Pluralität zugrunde. Ich verfolge die europäische Philosophiegeschichte und kann so zeigen, dass diese Polarität von Anfang an gesehen und diskutiert wurde, dass nur im Laufe der Jahrtausende die Plausibilitäten und damit der Zuspruch wechselten.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Mein Anliegen ist es, beide Grundoptionen im Wahrheitsverständnis herauszuarbeiten, zu würdigen und vor der typischen Kritik der Gegenseite in Schutz zu nehmen. Dadurch zeige ich, dass beide Seiten innerhalb der Philosophie-, Theologie- und Kirchengeschichte ihren Wert hatten und haben. Es scheint mir jedoch zugleich gute – und zwar auch innerchristliche – Argumente zu geben, in der heutigen Zeit der (Post-)Moderne ein plural ausgerichtetes, relativistisches Wahrheitsverständnis zu vertreten, wenn dieses mit einem eindeutigen Wahrheitsanspruch verknüpft ist. Daher möchte ich mit diesem Buch auch die Debatte um den Relativismus in der Theologie neu anstoßen und vertiefen.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Papst Benedikt XVI., dessen Schlagwort vom Relativismus als tiefstes Problem unserer Zeit eine wichtige Kontroverse eröffnet, die ich im Buch an zentraler Stelle verfolge.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Um aktuelle kirchliche und religiöse Kontroversen sinnvoll führen zu können, ist eine Grundlagenreflexion um das Wahrheitsverständnis nötig, die auch die aktuelle (post-)modern-plurale gesellschaftliche Situation in den Blick nimmt.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Wichtig wären vor allem der Zugang zu einem Fernleihkonto und das zugehörige Lieferschiff. Schön wären darüber hinaus ein paar spannende Bücher für die Pausen am Strand, gerade habe ich mir die Three Body-Trilogie von Cixin Liu gekauft, ein hoffentlich spannender und intelligenter Science fiction-Thriller mit apokalyptischen Anleihen.

7. Die siebte Frage stammt von Markus Enders, Co-Herausgeber eines Sammelbandes über "Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit" und Autor mehrerer Aufsätze zum Wahrheitsverständnis in Theologie und Philosophie:
Dem Christentum eignet als einer (neben dem Judentum, dem Islam, dem Hinduismus und dem Buddhismus) Weltreligion grundsätzlich ein seinem Anspruch nach absolut, d. h. zeitunabhängig, und universal, d. h. raumunabhängig, gültiges Verständnis von Wahrheit für die zentralen Inhalte seines (religiösen) Glaubens (Inkarnation, Christologie, Trinitätslehre, Erlösungslehre, Kirchen-Verständnis, Sakramentenlehre etc.). Wie wollen Sie mit diesem prinzipiell absoluten und universalen Wahrheitsverständnis des Christentums ein relativistisches Verständnis von Wahrheit, das die Gültigkeit und/oder den Inhalt der religiösen (Glaubens-) Wahrheiten des Christentums von zeitlichen und/oder räumlichen Bedingungen abhängig macht, widerspruchsfrei vereinbaren?

In der Tat basiert das Christentum auf einem Wahrheitsanspruch, der eine raum- und zeitunabhängige Letztgültigkeit impliziert. Der Glaube an die Transzendenz stellt geradezu die Pointe des Christentums dar, da diese den Sinnhorizont und das individuelle Dasein begründet. Dieser Wahrheitsanspruch darf nicht preisgegeben werden. Die Analyse der erkenntnistheoretischen Positionen im Buch zeigt, dass dieser Wahrheitsanspruch auch nicht zur Debatte stehen muss und es in aller Regel auch nicht tut. Hilary Putnam etwa betont in seinem internen Realismus, dass keine Aussage ohne einen derartigen Anspruch auskommen kann. Demnach handelt es sich also gar nicht um eine genuin religiöse Problematik. Selbst Richard Rorty, der als großer Wahrheitsverächter gilt, betont, dass er nicht die eine Wahrheit leugnet, sondern nur den menschlichen Zugriff auf sie relativieren möchte. Er will nicht die Wahrheit als solche abschaffen (das wäre auch ein skurriles Unterfangen), sondern die menschliche Berufung auf die eine Wahrheit hinterfragen und dazu die menschliche Fehlbarkeit in Rechnung stellen. Dieses Anliegen kann die Theologie sehr wohl aufnehmen und sie hat das auch schon immer getan. Ein christlich rezipierter Relativismus lehnt also nicht die eine Wahrheit in Gott ab, sondern relativiert nur den menschlichen Zugriff auf Gott. Wenn die Theologie daher die Differenz von Schöpfer und Schöpfung, von Transzendenz und Immanenz denkt, dann greift sie dieses Anliegen des Relativismus auf. Das impliziert auf der einen Seite eine Stärkung des Gottesgedankens und auf der anderen Seite ein Ernstnehmen der menschlichen Freiheit, die auch aus den Kontingenzen und Unzulänglichkeiten der Welt entspringt. Damit gerät die Kriterienfrage in den Fokus: Wie erweist sich Wahrheit in der kontingenten Welt? Hier kann eine relativistische Erkenntnistheorie einen interessanten Beitrag leisten, indem sie die pragmatische Philosophie rezipiert. Demnach muss sich die Wahrheit in der Welt anhand ihrer lebensweltlichen Konsequenzen festmachen lassen. Der Wahrheitsfrage des Pilatus, mit der ich das Buch eröffne, kann man demnach beantworten, indem man auf Wahrhaftigkeit rekurriert: Wahrheit ist nicht einfach gegeben, sondern muss sich im Tun, in ihrer Umsetzung erweisen. Das scheint mir die Stoßrichtung des johanneischen Wahrheitsverständnisses zu sein.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)