"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
31. Folge: 7 Fragen an Bernhard Kohl OP
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Die fünfte Folge des Jahres 2017 kommt aus Toronto. An der University of St. Michael's College arbeitet hier der Dominikanertheologe Bernhard Kohl. Gerade ist seine von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt angenommene Dissertation erschienen: Die Anerkennung des Verletzbaren. Eine Rekonstruktion der negativen Hermeneutik der Gottebenbildlichkeit aus den Anerkennungstheorien Judith Butlers und Axel Honneths und der Theologie Edward Schillebeeckx'.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Dies trifft deswegen nicht zu, weil das Buch eine Interpretation des biblischen Begriffs der Gottebenbildlichkeit anbietet, die von der grundlegenden Verletzbarkeit des Menschen ausgeht und auf den anerkennungstheoretischen Ansätzen Axel Honneths und Judith Butlers und der Theologie Edward Schillebeeckx' fußt. Dadurch kann eine negative Anthropologie und Ethik grundgelegt werden, die dabei hilft, gewaltvoll-fixierende Muster in Menschenbildern und ethischen Systemen aufzudecken, sie zu öffnen und den Menschen in gleichem Atemzug so darzustellen, wie er in der biblischen Schöpfungsgeschichte gedacht wird: als konzeptloses Konzept, als bildloses Bild Gottes.
So wird ein theologisch-ethisches System ermöglicht, das Menschen und gesellschaftliche Entwicklungen nicht von vornherein kategorisieren und trennen muss, sondern anerkennend-inklusiv und gleichzeitig theologisch seriös vorgehen kann.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Mein Buch ist einerseits auf die konsequente "Anwendung" der exegetischen Forschungsergebnisse zum biblischen Begriff der Gottebenbildlichkeit im theologisch-ethischen Bereich bedacht. Diese besagen, dass die Gottebenbildlichkeit im biblischen Kontext nicht material-ontologisch aufzufassen ist, sondern funktional: der Mensch ist der Stellvertreter Gottes auf der Erde.
Damit ergibt sich andererseits die Frage, wie eine funktionale Interpretation der Gottebenbildlichkeit - das Stellvertretersein des Menschen - in einer Weise gelingen kann, dass sie auch heute eine Aussagekraft hat.
Für mich resultiert daraus, dass die Gottebenbildlichkeit - auch im Sinne des alttestamentlichen Bilderverbotes - dabei hilft, sich immer wieder bewusst zu machen, dass Menschen nicht in gesellschaftlichen und religiösen Bildern fixiert werden können und dürfen.
Bei der konkreten Umsetzung dieser Platzhalterfunktion helfen die schon genannten Anerkennungstheorien Judith Butlers und Axel Honneths. Sie benennen über die via negativa einen "Rahmen", der für ein menschenwürdiges Dasein anerkannt werden muss. Gleichzeitig lässt sich dieser Rahmen nicht überzeitlich festschreiben. Er wandelt sich kontinuierlich und ist doch an den Stellen erkennbar, wo Menschen durch seine Nichtbeachtung verletzt werden.
Somit ergeben sich eine heuristische und historisch lernfähige Anthropologie und Ethik, die nicht nur auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren, sondern agieren können.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Das Thema zeigt, dass aus theologischer Perspektive kein Grund für Furcht gegenüber der Relecture spezifisch theologischer Begrifflichkeiten mit Hilfe zeitgenössischer Ansätze besteht. Konkret: Die Theologie verliert nichts an Kraft, wenn bisher ontologisch-naturrechtlich gefasste Kategorien der theologischen Anthropologie und Ethik geöffnet bzw. über einen alternativen Weg interpretiert werden - auch, wenn sich dadurch eine Ergebnisoffenheit ergibt.
Solche alternativen Wege können bspw. in der bioethischen oder technikphilosophischen Debatte hilfreich sein, in der theologisch-anthropologische und ethische Ansätze häufig rein reaktiv, wenig bewegungsfähig und dadurch kaum relevant wirken, da häufig nur auf bestehenden Positionen beharrt wird.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Dietrich Bonhoeffer. Für ihn war klar, dass Ethik auf eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Kontext bezogen und begrenzt sein muss, da jede ethische Antwort auf eine ganz spezifische Herausforderung eingeht. Was darüber hinaus viel wichtiger ist: Bonhoeffer hat seine ethische Antwort gelebt.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Anerkennt die Verletzbarkeit des Menschen.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Werke von Erasmus von Rotterdam wären ganz sicher dabei, vielleicht die Colloquia, die "Klage des Friedens" oder "Vom freien Willen". Außerdem Meister Eckhart.
Dann Romane von Thomas Glavinic und bestimmt auch etwas von David Foster Wallace.

7. Die siebte Frage stammt von Professorin Andrea Bieler von der Universität Basel, deren neues Buch "Verletzliches Leben. Horizonte einer Theologie der Seelsorge" (2017) ebenfalls ein Beitrag zum theologischen Vulnerabilitätsdiskurs ist: Kann eine anerkennungstheoretische Deutung von Vulnerabilität auch für die Gotteslehre fruchtbar gemacht werden?

Ich denke, dass sich in einer solchen Deutung zumindest Hinweise für die Gotteslehre finden lassen. Ein klassischer Ansatz in diese Richtung bestünde ja darin von der frei gewählten Verwundbarkeit Gottes in der Kenosis zu sprechen.
In meiner Arbeit geht es aber genauer um die Frage, wie sich mit der anerkennungstheoretischen Deutung der Vulnerabilität ein heuristisches Instrumentarium für die Kontextualisierung der Gottebenbildlichkeit gewinnen lässt, also darum, wie sich der Begriff der Gottebenbildlichkeit in unterschiedlichen Kontexten inhaltlich füllen lässt. Über Aussagen zu einem solchen Instrumentarium, das dabei hilft den Menschen als Bild Gottes auszumachen, sind dann natürlich "Rückschlüsse" auf das Urbild vorstellbar.
Hierbei ist in meiner Arbeit nun das Prinzip der Anerkennung wichtig. Es bringt die Erkenntnis ein, dass jeder Mensch gewisser Anerkennungsverhältnisse bedarf, um als Mensch im weitesten Sinne "gedeihen", seine Subjektivität ausbilden zu können. Wichtig ist außerdem der Ansatz Judith Butlers, dass Anerkennungsverhältnisse nicht reziprok ausfallen müssen. Anerkennung des Anderen ist ein Anspruch an das Subjekt, auch wenn keine Aussicht auf Erwiderung besteht.
Und es kommt noch ein erschwerender Faktor hinzu, da bei Anerkennungsverhältnissen Vorsicht geboten ist: über Anerkennung eines Anderen kommt es immer auch zur "AnVerkennung" des Anerkannten, da ich es immer schon "als etwas" anerkenne. Das ist einerseits unumgänglich, da ich nur so zu einer Anschauung von meinem "Anerkennungsobjekt" kommen kann, auf der anderen Seite muss ich mir aber eben bewusst sein, dass ich das Objekt meiner Anerkennung so immer schon in den Rahmen meiner Intelligibilität zwinge, es nach meinen Vorstellungen und für mich passend forme. Das kann, je nach Intensität und Macht, die hinter der Anerkennung steht, bis zur Missachtung und gewaltvollen Unterdrückung gehen.
Deswegen bringe ich zusätzlich das Prinzip der Vulnerabilität als Indikator ein. AnVerkennung und Missachtung, also misslingende Anerkennungsverhältnissen, liegen dann vor, wenn Menschen verletzt werden.
In einem Prinzip der Anerkennung der Verwundbarkeit des Menschen sehe ich somit den Vorteil, dass es nicht nur als ethisches oder anthropologisches Fundamentalprinzip eingrenzbar, sondern auch historisch offen, also heuristisch ist. Es lässt sich eben nicht ein für alle Mal sagen, was einen Menschen verletzt. Das kann sich gerade in Anbetracht technologischer Entwicklungen sehr stark ändern - vielleicht gibt es Verletzungsmöglichkeiten, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.
Nun der Rückschluss auf die Gotteslehre bzw. die Gottebenbildlichkeit. Der Einbezug der Vulnerabilität in den Anerkennungsprozess hilft dabei die Anerkennung nicht zu fixieren, weswegen besser auch vom Anerkennen, als von Anerkennung gesprochen wird. Für die theologische Anthropologie und Ethik bildet die Vulnerabilität somit eine Art permanenten heuristischen Öffnungsmechanismus. Ähnliches gilt nach alttestamentlicher Aussage für den Menschen als Bild Gottes und eben auch für Gott: der Mensch ist das bildlose Bild Gottes, der nicht in Bildern fixiert werden kann und darf - was natürlich auch für unsere menschlichen Bilder von Gott gilt. Diese theologische Ureinsicht - und Mahnung zur Zurückhaltung - wird in manchen Debatten über die Erkennbarkeit Gottes und die daraus zu gewinnenden ethischen und anthropologischen Konsequenzen und Normen aber gerne vergessen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)