"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
33. Folge: 7 Fragen an Karl-Heinz Menke
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
In der 33. Folge werden die sieben Fragen von Prof. Dr. Karl-Heinz Menke beantwortet. Gerade ist sein neues Buch Macht die Wahrheit frei oder die Freiheit wahr? Eine Streitschrift erschienen.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Von der Bibel kann man behaupten, dass die Welt sie braucht; von meinem Buch gewiss nicht. Ich wäre schon froh, wenn Teile der deutschsprachigen Theologie mein Anliegen verstehen und diskutieren würden. Eine Streitschrift spitzt zu und will auf diese Weise herausfordern. Es geht, wie ich einleitend erkläre, um eine Grundsatzfrage, die von zwei Lagern der deutschsprachigen Theologie konträr beantwortet, aber mit der jeweiligen Gegenseite kaum noch diskutiert wird. Als repräsentativ für die von mir angegriffene Position kann die von Stephan Goertz und Magnus Striet initiierte Buchreihe "Katholizismus im Umbruch" gelten. Von deren Beiträgern wird die These vertreten, die katholische Kirche befinde sich solange in einer neuen Modernismuskrise, als sie den von Kant eingeschlagenen Weg in die Befreiung des Menschen zu selbstbestimmter Autonomie verweigere. Es geht – wie ich mehrfach betont habe – nicht um die Bindung jeder von außen kommenden Wahrheit (oder Forderung) an die freie Einsicht des je einzelnen Subjekts. Wahrheit darf ihre Akzeptanz in keiner Weise erzwingen. In dem Punkte bin ich mit dem Autorenkollektiv des "Katholizismus im Umbruch" einig. Der Dissens beginnt, wo Atonomie definiert wird als "Anspruch des Menschen, sein eigenes Leben nach selbstgesetzten Zwecken zu führen". Ein von diesem Autonomieprinzip bestimmter Katholizismus betrachtet die Schöpfung und das Gewissen des Menschen nicht mehr als "splendor veritatis", sondern folgert aus der Kantschen These, dass die Freiheit des Menschen sich selbst Gesetz ist, die Bestimmung der Wahrheit durch die individuelle Freiheit. Ich charakterisiere diese Position als Verkehrung des Primates der Wahrheit vor der Freiheit in dessen Gegenteil.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Auch diese Frage greift in Bezug auf meine kleine Streitschrift zu hoch. Denn neue Perspektiven eröffnet ein theologisches Buch nur unter der Voraussetzung, dass es Möglichkeiten erschließt, zumindest einen Teil der Tradition neu zu verstehen und zu vermitteln. Meine Streitschrift eröffnet keine neue Perspektive zur Erschließung eines christologischen, ekklesiologischen oder eschatologischen Glaubensartikels, sondern bewegt sich im Vorfeld solcher Bemühungen. Die angebliche Unhintergehbarkeit des nominalistischen Dualismus von Denken und Sein wird von mir bezweifelt; ebenso die Grundthese des sogenannten 'linguistic turn', das Denken sei ein Epiphänomen der Sprache und die Sprache nichts anderes als ein historisch und kulturell bedingtes Konstrukt. Demgegenüber beschreibe ich das Denken und Sprechen des Menschen als von der Wahrheit des Seins ermöglichte Reflexion und die Freiheit des Menschen als ihm von seinem Schöpfer ermöglichte 'Un-bedingtheit'.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Meine Streitschrift versteht sich weniger als Beitrag zu aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten denn als Anfrage an diese. Sie geht aus von der kaum bestreitbaren Tatsache, dass sich viele TheologInnen auf die historische bzw. kulturanthropologische Betrachtung kirchlicher Praxis und theologischer Interpretamente zurückziehen und die Wahrheitsfrage ausklammern. Im Kontext des ökumenischen und interreligiösen Dialogs wird geschichtlich relativiert und hergeleitet, vormals Trennendes als Potential wechselseitiger Bereicherung entdeckt und Pluralismus als Konsequenz der Anerkennung des Andersdenkenden gepriesen. Aber kaum noch thematisiert wird die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche. Ein Exeget oder Systematiker, der die Offenbarkeit Gottes (der Wahrheit an sich) in dem biblisch bezeugten Leben und Sterben Jesu für rational unvertretbar hält, müsste sich wenigstens auf eine Debatte über die Möglichkeit letztgültiger Offenbarung und deren Erkennbarkeit einlassen.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Wünschenswert wäre eine Diskussion mit den Initiatoren der Buchreihe "Katholizismus im Umbruch". Aber auch mit dem Matthäus-Kommentator Ulrich Luz, der die Bindung der Theologie an das Dogma der Kirche für anachronistisch hält; oder mit protestantischen Theologen wie Wolfgang Huber oder Wolf Krötke, die im Lutherjahr die "Konfession der Freiheit" in Abgrenzung zur "Konfession des Gehorsams" feiern.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Wenn ich selbst bestimmen kann, was der Inhalt des Gesetzes meiner Freiheit (der Anerkennung anderer Freiheit) ist, ist die Wahrheit meinen Versuchungen und Interessen ausgeliefert; und umgekehrt; wenn ich mich mit der Anstrengung meines kritisch fragenden Verstehens an die Wahrheit Gottes binde, die durch Christus und in der mit ihm kommunizierenden Kirche zugänglich wird, binde ich mich an den Ursprung und Grund meiner Freiheit.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

– Die Septuaginta
– Blaise Pascal: Pensées
– Dante Alighieri: Divina Commedia
– Henri de Lubac: Paradoxes
– Joseph Ratzinger: Jesus von Nazareth

7. Die siebte Frage stammt von Professorin Johanna Rahner von der Universität Tübingen: Da die Kirche stets der Umkehr und Reinigung bedürftig ist (LG 8,3), bedarf es einer Kriteriologie von Kirche aus dem Offenbarungsereignis selbst heraus. Wie begründen Sie christologisch und pneumatologisch die angesichts der realen Kirchengeschichte notwendige Kritik von Kirche?

Die Frage setzt voraus, dass es einen Zugang zum Offenbarungsereignis vor, außerhalb oder unabhängig von der Kirche gibt. Doch den – das lehrt die Geschichte der Gnosis – gibt es nicht. Auch Protestanten bestreiten schon lange nicht mehr, dass es die apostolische Kirche vor der Schrift gab. Die Kanonisierung bestimmter Jesus-Zeugnisse geschah in der und durch die apostolische Kirche. Nicht unabhängig von ihr! Der Heilige Geist ist keine zweite (unmittelbare und unsichtbare) Offenbarung neben der durch das Menschsein Jesu, durch die Kirche und deren kanonische Schriften vermittelten; im Gegenteil, der Heilige Geist ermöglicht die Inkarnation des göttlichen Logos, verbindet das Ursakrament 'Jesus' mit dem Grundsakrament 'apostolische Kirche' und erschließt die in Jesus Christus ergangene Offenbarung in Gestalt der Zeugnisse, die man summarisch als 'die Heilige Schrift' bezeichnet. Die Kirche ist auf Grund ihrer geistgewirkten Sakramentalität untrennbar von der Wahrheit, die Jesus Christus ist; darin besteht ihre Heiligkeit trotz der Sündigkeit ihrer Mitglieder. Auch eine nicht selten himmelschreiende Sündigkeit ihrer Amtsträger kann die Kirche nicht von Christus trennen. Zahlreiche Stellen des Neuen Testamentes bezeugen: Sünde kann die Kirche spalten, aber nicht von Christus trennen. Die Kirche ist in Gestalt der Apostelnachfolger diachron und synchron das Subjekt der Heiligen Schrift und deshalb auch berechtigt, durch ein Konzil oder durch den Papst im Namen aller Apostelnachfolger in Streitfällen der Schriftauslegung, des Glaubensinhaltes und der kirchlichen Lebensregeln verbindliche Entscheidungen zu treffen. Die Tatsache allerdings, dass die Kirche sich von der Wahrheit, die Jesus Christus ist, nicht trennen kann, ändert nichts an ihrer steten Reformbedürftigkeit. Nur wenn möglichst alle Getauften (und besonders die Amtsträger) von Christus her und auf Christus hin leben; nur wenn möglichst viele an jedem Gedächtnistag der Auferstehung mit Christus und miteinander kommunizieren; nur wenn jeder Einzelne seine Schuld immer wieder erkennt und bekennt, werden die Institutionen der Kirche glaubwürdig bleiben, ihre Verantwortungsträger die Zeichen der Zeit erkennen und Veränderungen wagen, die sich der betenden Kommunikation mit Christus verdanken.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)