"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
34. Folge: 7 Fragen an Christian Stoll
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
In der 34. Folge werden die sieben Fragen vom katholischen Theologen Christian Stoll beantwortet. Gerade ist seine Wiener Dissertation Die Öffentlichkeit der Christus-Krise. Erik Petersons eschatologischer Kirchenbegriff im Kontext der Moderne erschienen.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Weil Erik Peterson (1890-1960) eine wichtige Gestalt der neueren Theologiegeschichte ist, deren zugespitzte Einsprüche in der Zwischenkriegszeit bis heute faszinierend sind. Mein Buch ist der Versuch, Petersons fragmentarisches und zugleich umfangreiches Werk aus seinem Kontext heraus verständlich zu machen. Es zeigt, dass es Peterson in den weltanschaulich turbulenten zwanziger und dreißiger Jahren um eine Ekklesiologie ging, die zugleich offenbarungstheologisch fundiert, an der liturgischen Praxis orientiert und politisch sensibel ist. Dass Peterson der Theologie damit nach wie vor etwas zu sagen hat, will das Buch deutlich machen.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Theologiegeschichtlich lässt sich zeigen, dass Peterson auch nach seiner Konversion zum Katholizismus der Offenbarungstheologie Karl Barths nahe stand. Angesichts der Abstoßungstendenzen auf evangelischer Seite und der Vereinnahmungsversuche auf katholischer Seite, die bis heute die Rezeption Petersons kennzeichnen, ist das kein nebensächlicher Befund. Wirklich sichtbar wird dies erst in einer modernisierungstheoretisch-kontextualisierenden Perspektive, wie sie in der katholischen Theologiegeschichtsschreibung bisher vernachlässigt wird. Barth und Peterson sind "Krisentheologen" in einem Sinn, der erst deutlich wird, wenn man die Zeitsignatur ihrer betont eschatologischen Offenbarungstheologien freilegt: Beide wollen die liberale protestantische Theologie überwinden und sind zugleich negativ-kritisch auf spezifisch moderne Pathologien des Politischen wie den Totalitarismus bezogen.
In systematischer Hinsicht stellt das Buch vor allem die zentrale Bedeutung des Öffentlichkeitsbegriffs für die Ekklesiologie heraus. Bei Peterson meint Öffentlichkeit eine bestimmte Sprach- und Praxisform des Politischen, die – recht verstanden – auch die Kirche kennzeichnet. Unter dem Einfluss Carl Schmitts greift Peterson diese Kategorie auf, um die repräsentative Formensprache gemeinschaftlicher gläubiger Praxis, wie sie besonders in der Liturgie zum Ausdruck kommt, auf den Begriff zu bringen. Anders als bei Schmitt, den seine Faszination für das Repräsentative zum Faschismus führt, steht bei Peterson die kirchliche Öffentlichkeit aber im Dienst einer krisenförmigen Offenbarungstheologie, die sich gerade kritisch gegen den politischen Totalitarismus wendet. Daher ist die Kirche für Peterson die "Öffentlichkeit der Christus-Krise". Dass die Ekklesiologie auch heute an einem kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff arbeiten sollte, ist m.E. der wichtigste systematische Impuls, der von der Theologie Petersons für heute ausgeht.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Die alte katholische Kanonistik kannte den Begriff einer kirchlichen Öffentlichkeit. Dieser wurde aber im Umfeld des Konzils aufgegeben, weil dort die Kirche analog zu einer absolutistischen Monarchie gedacht war. An die Stelle des alten ist allerdings kein neuer Begriff einer kirchlichen Öffentlichkeit getreten. Dies zeigt sich schon darin, dass nur noch davon gesprochen wird, wie die Kirche in der Öffentlichkeit (der medial strukturierten Gesellschaft) agieren kann. Das ist zweifellos eine wichtige Frage, die der von Jürgen Habermas beschriebene "Strukturwandel der Öffentlichkeit" aufwirft. Die Ekklesiologie kann jedoch nicht ignorieren, dass die Kirche nicht nur nach den Prinzipien einer bürgerlichen Diskursöffentlichkeit strukturiert ist, sondern auch Sprach- und Praxisformen kennt, die einem repräsentativen Öffentlichkeitsverständnis verpflichtet sind. Das zeigt sich vor allem in der Liturgie, wo z.B. in den Akklamationen eine repräsentative Formensprache gepflegt wird, die sich nicht auf den Austausch von Argumenten in einem öffentlichen Diskurs beschränkt. Eben dieser repräsentativ-öffentlichen Formensprache hat der junge Habermas das allmähliche Verschwinden in der Moderne vorausgesagt, da sie sich nicht in das Schema einer demokratischen Diskursöffentlichkeit fügt. Habermas hat damit einer verbreiteten Wahrnehmung Ausdruck verliehen: Gerade in ihren repräsentativ-amtlichen Vollzügen zeige sich die katholische Kirche als den Fragen des modernen Menschen gegenüber spröde oder gar als offen reaktionär.
Dieser Wahrnehmung weicht die katholische Ekklesiologie m.E. oft aus. Die Hypotheken überkommener Repräsentationsvorstellungen werden nur zaghaft aufgearbeitet. Vor allem aber mangelt es an konstruktiven Re-interpretationen repräsentativ-öffentlicher Vollzüge, die aufzeigen, warum diese zum Kern kirchlicher Praxis gehören und zugleich unter demokratischen Bedingungen akzeptabel sind, mögen sie auch sperrig bleiben. In diese Richtung weist die Ekklesiologie Erik Petersons: Repräsentativ-öffentliche Vollzüge sind für den christlichen Offenbarungsglauben eine – allerdings unverzichtbare und nicht austauschbare – Form, die neugewonnene Freiheit der Kinder Gottes performativ zu artikulieren. Als solche haben sie, so die Kirche die Macht ihres Herrn und nicht ihre eigene Macht feiert, auch in der politischen Welt der Moderne eine Funktion. Mit Peterson gesprochen: Dem himmlischen Kyrios akklamieren, heißt allen menschengemachten Götzen widerstehen, insbesondere solchen, die das Politische totalitär entstellen.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Friedrich Wilhelm Graf als Nestor der kontextuellen Theologiegeschichtsschreibung im evangelischen Bereich und mit Medard Kehl als passioniertem Ekklesiologen.
Und wenn es möglich wäre, mit Peterson selbst und seinen drei wichtigsten Gesprächspartnern: Adolf v. Harnack, Karl Barth und Carl Schmitt.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Nach Peterson ist Kirche dort, wo der Sieg, den Gott in Christus über die Macht der Sünde und des Todes errungen hat, fortdauernd aktualisiert und artikuliert wird – nicht zuletzt durch eine repräsentativ-öffentliche Formensprache, die für das Kirchesein konstitutiv ist.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Zuerst würde ich mich bemühen, eine Ausgabe zu finden, die möglichst viele von Joseph Roths recht kurzen Romanen und Novellen enthält (neben dem "Radetzkymarsch" und der "Kapuzinergruft" vor allem "Das falsche Gewicht", "Hiob" und die "Legende vom heiligen Trinker").
Dostojewskys "Schuld und Sühne" müsste außerdem dabei sein. Roth und Dostojewsky kann ich immer wieder lesen. Fasziniert bin ich auch von den Gedichten Heinrich Heines wegen ihres bissigen Humors und ihrer Schonungslosigkeit, wenn es um Enttäuschungen geht.
Dann vielleicht noch etwas Theologisches: Karl Barths Kirchliche Dogmatik, wenn die Insel sehr einsam und der Aufenthalt sehr lang ist. Und schließlich: das Buch der Bücher. Wenn der Platz wegen Barth nicht reicht, genügen mir auch die Psalmen.

7. Die siebte Frage stammt von Professor Thomas Ruster von der Universität Dortmund: Was würde sich für die Aktualisierung von Petersons Öffentlichkeitsbegriff ergeben, wenn man ihn auf die theologische Figur des dreifachen Amtes Jesu Christi bezieht? Konkret meine ich: Bleibt nicht Peterson in Bezug auf das priesterliche und das königliche Amt so sehr in traditionell-vormodernen Vorgaben stecken, dass einer Aktualisierung hier sehr enge Grenzen gesetzt sind

Peterson hat sich nur verstreut und recht freihändig mit dem Amt in der Kirche beschäftigt. Über die traditionelle Amtstheologie wusste er kaum etwas. Wo er sich explizit auf das Amt bezieht – vor allem in seinen biblisch inspirierten Beiträgen zur Theologie des Martyriums – kann man eher eine Nähe zur Drei-Ämterlehre des Zweiten Vatikanums ausmachen. Konkrete amtstheologische Überlegungen stellt Peterson nur für das Bischofsamt an – eine Theologie des Priesteramtes oder gar des Petrusdienstes findet sich bei ihm nicht.
Meines Erachtens ist sein Beitrag zur Amtstheologie aber eher ein indirekter. Petersons Positionsmarkierungen zugunsten eines kirchlichen Öffentlichkeitsbegriffs liegen auf einer grundlegenden ekklesiologischen Ebene und können eine Reihe liturgischer und rechtsförmiger Vollzüge neu erschließen. Dabei ist Peterson – entgegen dem Ruf, der ihm als Konvertiten anhaftet – jedoch nicht einfach der Theologe der sichtbar-institutionellen Kirche. Wenn er die Kirche als Öffentlichkeit bezeichnet, meint er damit primär die "Christus-Sphäre" ihres zum Himmel aufgefahrenen Herrn. Petersons ausgeprägter Sinn für das "Sphärische" und Räumliche hat nicht zuletzt die Funktion, die Kirche in zentraler Weise als eine pneumatologische Wirklichkeit zu konzipieren. Dass er dabei deutlich über die gegenreformatorische katholische Ekklesiologie hinausgeht, für die das Pneuma nur die Innenseite der Institution ist, zeigt seine Deutung des Paulus als "Apostel der Ausnahme": Dessen Erfolg beim sog. "Apostelkonzil" beweist für Peterson, dass das Charisma auch im Konflikt mit der amtlichen Autorität in der Kirche recht behalten kann. Hier ist Peterson ganz Lutheraner!
All dies muss man sehen, wenn man Petersons Interesse an liturgischen und juridischen Vollzügen in der Kirche richtig einordnen will. Er sieht in ihnen Sprachformen, die dem Offenbarungsgeschehen selbst formal entsprechen und darum unverzichtbar sind, um dessen Inhalt zu artikulieren. Ein Beispiel: Wenn Jesus Christus als König tituliert wird, dem in der Liturgie Kyrios-Akklamationen zukommen, wird damit ein Machtwechsel zum Ausdruck gebracht, der eine neue Zeit einläutet und die Herrschaft des Todes und der Sünde zu Ende bringt. Die repräsentativ-öffentlichen Sprachformen, mit denen dieser Zusammenhang bis heute in der Liturgie artikuliert wird, lassen sich dabei nicht ohne inhaltlichen Verlust durch andere ersetzten, etwa durch solche aus der ökonomischen oder gouvernementalen Sphäre. Zugespitzt gesagt: Christus ist eben nicht der CEO eines Weltkonzerns und auch kein Regierungschef eines modernen Staates. Diese Problemanzeige ist schließlich auch für die Amtstheologie, gerade auch für die erneuerte des Konzils, von Bedeutung: Die Rede von einem "königlichen Amt" aller Getauften hat nur dann Sinn, wenn man das hier implizierte Repräsentationskonzept herausarbeitet, ohne dabei den Verdacht auf sich zu ziehen, man habe kein konstruktives Verhältnis zur Demokratie. Hier weist Erik Peterson, so meine ich, bei aller Zeitbedingtheit in die richtige Richtung.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)