"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
39. Folge: 7 Fragen an Michael Seewald
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Als das MFThK im Frühjahr 1998 die ersten HTML-Seiten online stellte, war Michael Seewald zehn Jahre alt. Seit 2017 ist er Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster. Jetzt ist sein neues Buch erschienen, die erste Monografie nach seinen beiden wissenschaftlichen Qualifikationsschriften: Dogma im Wandel. Wie Glaubenslehren sich entwickeln. Nach nur zwei Wochen im Handel war schon die erste Auflage ausverkauft.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Die Welt braucht viele Sachen nicht: Homers Dichtung, Dantes Komödie, Manns Romane - das ist im strengen Sinne alles unnötig. Ich bin kein Homer, kein Dante und kein Mann. Deswegen braucht die Welt mein Buch auch nicht. Aber interessant sind meist nur die Dinge, die man nicht unbedingt braucht, und sich deshalb umso mehr daran erfreuen kann, dass es sie gibt. In dieser Hinsicht besteht für mein Buch noch Hoffnung.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

"Dogma im Wandel" – das klingt für viele wie ein hölzernes Eisen. Dabei gibt es eine lange Tradition dogmatischer Entwicklungstheorien. Diese Theorien kamen verstärkt in der Theologie des 19. Jahrhunderts auf, wurden aber auch schon in patristischer Zeit angedacht und im Mittelalter aufgegriffen. Im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils erreichten sie einen Höhepunkt, sind danach aber leider wieder in Vergessenheit geraten. Mein Buch erzählt die Geschichte dieser Entwicklungstheorien und erschließt ein fast vergessenes Thema für die Theologie der Gegenwart.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Selten zuvor wurde über Wandel und Entwicklung so viel diskutiert wie heute. Selten zuvor wurde aber auch so wenig darüber nachgedacht, was Wandel und Entwicklung genau bedeuten. In diese Lücke springt mein Buch.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Hugo von Sankt Viktor vielleicht, bei dessen Lektüre mir viele Dinge klargeworden sind.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Dogmen sind (auch) Gewordenes im Werden.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Ich bin ein bekennender "Stendhalien", weshalb "Le rouge et le noir" auf jeden Fall in den Koffer muss. Joris-Karl Huysmans Roman "A rebours" – "Gegen den Strich" – ist mir auch lieb und teuer. Danach noch ein Band mit Liedern von Franz Schubert, die Partitur von Händels "Solomon" und eine Kladde, in der nichts steht – für das, was mir beim Stendhallesen, Schubertspielen und Händelhören einfällt. Ein Klavier wird es auf der Insel doch hoffentlich geben.

7. Die siebte Frage stammt vom katholischen Dogmatiker Helmut Hoping: Zum Begriff dogmatischer Entscheidungen im Bereich der Glaubens- und Sittenlehre gehört ihre bleibende Gültigkeit. Dogmatische Entscheidungen stehen nach katholischem Verständnis nicht unter Revisionsvorbehalt, was ihre Interpretation sowie sprachliche Reformulierung in einem veränderten kulturellen Kontext nicht ausschließt. In Ihrem Buch zur Theorie der Dogmenentwicklung sprechen Sie von der Möglichkeit und einzelfallbezogenen Notwendigkeit einer "Umdeutung" und "Korrektur" dogmatischer Entscheidungen. Wollen Sie damit dogmatische Entscheidungen unter Revisionsvorbehalt stellen? Sie bezeichnen dogmatische Entscheidungen als anthropogene Formeln. Wie steht es um die dogmatische Lehrentwicklung als pneumatologischen Prozess?

Zur ersten Frage: Fakt ist, dass auch verbindliche Lehrpositionen der Kirche sich mit der Zeit verändert haben. Die Idee einer absoluten Revisionsenthobenheit dogmatischer Festlegungen ist ungeschichtlich. Wer würde, betrachtet er den doktrinalen Bestand der Kirche in den Jahren 100, 1000 und 2000 leugnen wollen, dass es Umdeutungen und Korrekturen gab? Um damit theologisch umzugehen, bedurfte man ja gerade dogmatischer Entwicklungstheorien. Zur zweiten Frage: Unter dem Beistand des Heiligen Geistes für die Kirche verstehen auch fromme Zeitgenossen nicht, dass dieser Geist dogmatische Formeln diktiert. Weil er das nicht tut, sind diese Formeln anthropogen, also menschengemacht. Dass Christen trotzdem die Entwicklung der Kirche als Werk des Geistes deuten, ist ihnen unbenommen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)