"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
4. Folge: 7 Fragen an Julia Knop

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages. Nach Hans-Dieter Mutschler, Denis Schmelter und Ralf Lutz konnte nun erstmals eine Theologin für das Interview gewonnen werden: die im Münsterland aufgewachsene Dogmatikerin und Kinderbuchautorin Julia Knop. Mit ihrer kürzlich erschienenen Monographie Ecclesia orans - Liturgie als Herausforderung für die Dogmatik wurde sie an der Universität Freiburg habilitiert.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Weil es die theologisch unverzichtbare Frage stellt und einen Antwortvorschlag bietet, was das eigentlich ist: Glaube. Weil es einen Beitrag zur Grundlegung und zum Selbstverständnis dogmatischer Reflexion leistet. Weil es Modelle entwickelt, um die Verwiesenheit auch der systematisch-theologischen Reflexion auf die Glaubenspraxis zu beschreiben. Weil es den überfälligen Brückenschlag zwischen systematischer und praktischer Theologie, in diesem Fall: zwischen Dogmatik und Liturgiewissenschaft, theoretisch untermauert.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Es schlägt der dogmatischen Reflexion eine neue bzw. eine weitere Perspektive auf ihren Gegenstand, den Glauben, vor. Es plädiert dafür, Rechenschaft darüber abzulegen, woher die eigene Reflexion stammt, worauf sie gründet, welches Ziel sie verfolgt und wie das alles mit der liturgischen Praxis, mit dem gefeierten Glauben ihrer Konfession zusammenhängt. Es optiert dafür, eine bisweilen vergessene Form systematischer Nachdenklichkeit neu zu entdecken - das Nach-denken des in der Liturgie Praktizierten, das mit der Möglichkeit rechnet und diese für fruchtbar hält, dass die theologische Reflexion durch diese gläubige Praxis befragt, hinterfragt wird. Diese Perspektive ist letztlich nicht neu, insofern sie an wichtige Überzeugungen der Theologiegeschichte, v.a. der Patristik, anknüpft. Allerdings geschieht das nicht durch unkritische und anachronistische Wiederholung von Altem, sondern dadurch, dass heutige Glaubenshermeneutik mit dem Horizont früherer Theologien ins Gespräch gebracht wird und so eine weitere Perspektive erhält.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Das II. Vatikanische Konzil hat Theologinnen und Theologen ausdrücklich dazu aufgefordert, sie mögen "von den inneren Erfordernissen je ihres eigenen Gegenstandes aus das Mysterium Christi und die Heilsgeschichte so herausarbeiten, dass von da aus der Zusammenhang mit der Liturgie … deutlich aufleuchtet" (Sacrosanctum Concilium, Nr. 16). Das heißt nicht, dass alle Theologinnen und Theologen Liturgiewissenschaftler werden sollen. Aber sie sollen Ernst machen mit der personalen und dynamischen Vertiefung des Verständnisses von Glaube und Offenbarung, wie sie im Konzil (v.a. in Dei Verbum) breit entfaltet wurde, und mit der sakramentalen Bestimmung von Kirche (v.a. in Lumen Gentium), die dazu da ist, Gottes Heilsverheißung zu bezeugen, zu leben und zu verkünden.
Glaube - das, worüber Theologinnen und Theologen der verschiedenen Fachdisziplinen nachdenken - ist ja keine Theorie. Glaube ist zunächst gelebte Praxis, Sich-Einschreiben in die Gedächtnis- und Kommunikationsgemeinschaft Kirche, gemeinsames Sich-Hineinstellen in die Gottesrelation. Das geschieht in dichtester Form in der Liturgie, die das Konzil als "Quelle und Höhepunkt" (Sacrosanctum Concilium, Nr. 10) allen kirchlichen Lebens erkannt hat. Hier geschieht und hier wird sichtbar, was und wie Christinnen und Christen glauben, wie sie ihrem Gott gegenübertreten: indem sie danken und sein Heilswirken in der Geschichte vergegenwärtigen, indem sie durch Christus und mit Christus den himmlischen Vater preisen, indem sie Fürbitte halten für alle Welt, indem sie stellvertretend beten und bitten für alle, die das nicht (mehr) zu tun vermögen.
Theologische Fragen, die gegenwärtig besondere Dringlichkeit haben - z.B. die nach der Geschichtsmacht Gottes und die Frage, was es bedeute, einen trinitarischen Gott zu glauben, der den Menschen gut ist - können noch einmal einen neuen Anstoß bekommen, wenn liturgisches Handeln, gefeierter Glaube als "theologia prima" analysiert wird und auf diese Weise Reflexion und gläubiges Handeln miteinander ins Gespräch treten. Was heißt es z.B., dass das II. Vatikanum das "Allgemeine Gebet der Gläubigen", also das Fürbittgebet, wieder entdeckt und belebt hat? Was bedeutet es, dass Christinnen und Christen ihr Gebet an Gott den Vater richten und dies durch Christus im Heiligen Geist tun? Was bedeutet es, dass sie jeden Gottesdienst, dass sie in der Taufe ihr ganzes Glaubensleben unter das Zeichen des Kreuzes stellen?
Glaube steht in Geschichte und lebt in Geschichte, damit selbstverständlich auch die Liturgie, die nicht einfach sakrosankt "vom Himmel gefallen" ist, sondern sich verändern kann und faktisch viele Entwicklungen genommen hat. Die Liturgiereform des II. Vatikanum hat das alte Axiom von Prosper von Aquitanien, dass die Regel des Bittens/Betens die des Glaubens bestimmen möge, auch nach vorn hin fruchtbar gemacht und liturgische Konsequenzen der theologischen Entwicklungen im Verständnis von Glaube, Offenbarung und Kirche gezogen. Es hat deutlich gemacht: Kirchliche Erneuerung bedeutet zugleich liturgische Erneuerung. Eine Intensivierung des Glaubenslebens, wie sie vom Konzil initiiert wurde, braucht eine bzw. geschieht als Vertiefung und Intensivierung des liturgischen Lebens. Denn Liturgiefähigkeit und Mündigkeit im Glauben gehen Hand in Hand.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit allen, die Theologie theoretisch oder praktisch für eine reine Kopfgeburt halten.
Mit Friedrich Wilhelm Graf.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Liturgie ist gefeierter Glaube (theologia prima) und als solche systematisch relevant für die Dog-matik - nicht nur als Gegenstand, sondern auch als Herausforderung der kritischen Reflexion (theologia secunda) dieses Glaubens.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

1) Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge
2) Peter Härtling, Der Wanderer
3) Das Buch der Psalmen
4) Alfred Delp, Gesammelte Schriften 4: Aus dem Gefängnis
5) Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon

7. Innerhalb eines bedeutenden Stranges der deutschsprachigen Theologie wird die Vorstellung eines interventionistisch handelnden Gottes abgelehnt und deshalb das Fürbittgebet kritisch auf den Prüfstand gestellt. Welche Position bezieht in dieser Debatte eine liturgietheologisch orientierte Dogmatik?

In der Fürbitte zeigt sich m.E. besonders deutlich, was es heißt, einen personalen, geschichtsmächtigen Gott zu glauben und ihn als allmächtigen und liebevollen Vater anreden zu dürfen. Sie ist Ausdruck ganz zentraler Momente des christlichen Gottesverständnisses und Gottesverhältnisses. Die Unsicherheit, die gegenwärtig in Sachen Fürbitte in den Gemeinden besteht, würde ich deshalb auch als Ausdruck dafür interpretieren, dass unser Gottesbild unsicher geworden ist - abstrakter, unpersönlicher, manchmal eigentümlich weltfremd. Man weiß nicht recht, wie man bitten soll und ob man überhaupt bitten darf. Manchmal sind Fürbitten eher Selbstertüchtigungsappelle oder moralische Impulse als Bitten oder es handelt sich um Formulierungen, die Gott faktisch außen vor lassen, sei es als denjenigen, der Not lindern will, sei es als denjenigen, der dem Schuldigen vergeben will. Genau hier könnte die liturgische Praxis als produktive Herausforderung in Pastoral und Theologie zur Geltung kommen. Denn sie erinnert im Vollzug an die christliche Überzeugung, dass Gott handlungsfähig und handlungswillig ist und dass Christinnen und Christen entsprechend 1 Tim 2,1-4 in der Verantwortung stehen, vor Gott für alle Welt einzutreten.
Dass Gebet und Gnade einander spiegeln und deshalb Gebetstheologie und Gnadentheologie einander entsprechen müssen, war die wichtige Erkenntnis der Diskussion des 5. Jahrhunderts, aus der das Axiom lex orandi - lex credendi hervorgegangen ist. Deshalb maß man konkrete Gnadentheologien am Kriterium der Vereinbarkeit mit der liturgischen Fürbitte. Eine liturgietheologisch orientierte Dogmatik macht diese Herausforderung auch heute fruchtbar, indem sie eine weitere Perspektive in die Debatte einspielt. Sie schaut nicht nur von der Reflexion auf die Praxis, sondern auch von der Praxis auf die Reflexion. Für sie wäre ein gnadentheologisches Modell, in dem Gott faktisch handlungsunfähig gedacht wird, noch kein Anlass, die Fürbitte abzuschaffen. Sie würde vielmehr in der Fürbitte Anlass sehen, die theologischen und philosophischen Voraussetzungen dieses Modells noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)