"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
42. Folge: 7 Fragen an Sarah Rosenhauer
anlässlich des Erscheinens ihres Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Die Fragen der 42. Folge beantwortet die Frankfurter Theologin Sarah Rosenhauer. Gerade ist ihre erste Monographie erschienen, ihre am Lehrstuhl von Knut Wenzel erstellte Dissertation Die Unverfügbarkeit der Kraft und die Kraft des Unverfügbaren – Subjekttheoretische und gnadentheologische Überlegungen im Anschluss an das Phänomen der Kontingenz.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Weil in einer Gesellschaft, die zu einem Selbstverhältnis zwingt, das vornehmlich eines der Selbstoptimierung ist und alle Kraft und Aktivität in den Dienst der Leistungssteigerung stellt ein Nachdenken über die Produktivität des Unverfügbaren, des Kontroll- und Leistungsverzichts zugunsten einer gewagten weil unverfügbaren Freiheit zum Selbst und zur Welt wichtig ist. Diese Produktivität des Unverfügbaren versuche ich freiheits- und subjekttheoretisch zu begründen und mit dem Begriff der Gnade zu verbinden: Der Versuch der Selbstvervollkommnung ist nicht nur ausbeuterisch gegenüber dem eigenen Selbst und der Mit- und Umwelt, er beruht auch auf einem Irrglauben, denn er übersieht eine einfache Begebenheit: Menschliche Praxis ist kontingent. Und zwar in dem Sinn, dass wir das Gelingen unserer Vollzüge nicht einfach herstellen, durch unsere Vermögen sicherstellen können. Gelingen hat immer auch Widerfahrnischarakter. Will man dieses Phänomen denkerisch ernst nehmen, muss man die Grundbegriffe, mit denen wir unsere Praxis denken – und das heißt seit der Moderne vornehmlich: die Begriffe des Subjekts und der Autonomie – anders und neu denken. Das Subjekt kann nicht nur Instanz autonomer Aktivität sein, es muss zugleich als Instanz der Bestimmbarkeit durch das unverfügbar Entgegenkommende gedacht werden. Es reicht aber nicht, das Subjekt innerlich zu dialektisieren. Dem Widerfahrnischarakter des Gelingens eignet eine theologische Dimension, die den Begriff des Subjekts in den Horizont einer Theologie der Gnade stellt. Diesen Weg von einer kontingenzsensiblen philosophischen Subjekttheorie zu einer subjektsensiblen Theologie der Gnade lotet die Arbeit argumentativ aus und bewegt sich damit, sowohl was die Kritik des Verfügungsdenkens als auch die Öffnung auf eine theologische Dimension angeht, auf meiner Ansicht nach begrifflich wie existenziell wichtigen zeitgeistkritischen Pfaden.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Mein Buch versucht, die ästhetische Subjekttheorie des Frankfurter Philosophen Christoph Menke für die Theologie, genauer: eine Theologie der Gnade zu erschließen und den Begriff der Gnade so freiheits- und subjekttheoretisch zu begründen, indem die gelingenskonstitutiven Momente der Passivität und Unverfügbarkeit im Freiheitsvollzug – die Angewiesenheit auf etwas nicht autonom Leist- und Herstellbares für ein Glücken subjektiver Vollzüge und sozialer Praktiken, das mehr ist als ein Funktionieren – als dem subjektiven Freiheitsvollzug immanenter Ort potentiellen Gnadenwirkens verstanden wird. Mein Buch verbindet so eine an Menke, Hegel, Adorno, Derrida, Zizek und Badiou orientierte Theorie der Freiheit mit dem theologischen Begriff der Gnade. Es eröffnet damit eine Möglichkeit, den Gedanken der Gnade fundamentaltheologisch zu verantworten als einen Gedanken, der es ermöglicht, die Kontingenz menschlicher Praktiken und die Möglichkeit ihres Gelingens zusammen zu denken. Die Verbindung von Kontingenz und Gelingen, so die These, erweist sich recht besehen als theologischer Gedanke.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Das Buch will für die Theologie fundamentaltheologisch und gnadentheologisch von Bedeutung sein: fundamentaltheologisch, indem es eine subjekttheoretische Alternative zu klassisch transzendentalphilosophisch arbeitenden Ansätze formuliert. Ansatzpunkt der theologischen Argumentation ist weniger Freiheit in ihrer formalen Unbedingtheit als in ihrer realen Bedingtheit. Gerade in der uns unverfügbaren Bedingtheit unserer Freiheit liegt eine transgressive Kraft, die sie empfänglich für und angewiesen auf ein göttliches Wirken macht. Gnadentheologisch, indem die Rede von der Gnade im Ausgang von modernen und postmodernen Denkern philosophisch plausibilisiert wird: Gnade wird verständlich als ein unseren Freiheitsvollzügen unverfügbar entgegenkommendes und für ihr Gelingen konstitutives Wirken, als ein Wirken, das kein eigenes Tun ist und auf das unser Tun doch verwiesen ist, damit es gelingen statt nur funktionieren kann.

Dem Fokus auf die von Erfahrungen der Unverfügbarkeit her gedachten Gnade ist außerdem eine Kritik an Haltungen der Werkgerechtigkeit immanent, die all jene kirchlichen Praktiken und Direktiven trifft, die mit dem – expliziten oder impliziten – Anspruch auftreten, über Heil verfügen zu können.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Wenn ich frei und nicht nur über Standes-, sondern auch Endlichkeitsgrenzen hinweg wählen könnte: mit Theodor W. Adorno, Edith Stein, Karl Rahner, Thomas Pröpper.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Das Subjekt ist, dafür argumentiere ich im Anschluss an Adornos, Menkes und Foucaults Kritik des kantischen Autonomiebegriffs, für das Gelingen seiner Vollzüge auf etwas angewiesen, das es nicht autonom leisten kann, das seiner Autonomie unverfügbar entgegenkommt und das, dafür argumentiere ich durch kritische Aufnahme und Weiterführung von Gedanken Adornos, Badious und Zizeks, als Gnade zu denken ist: als ein uns unverfügbar entgegenkommendes Wirken eines personalen Gegenübers, das unsere Vollzüge frei sein lässt und ihnen ein Gelingen eröffnet, das sie selbst nicht zu leisten imstande sind.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Kants Kritik der reinen Vernunft
Hegels Logik
Kafkas Prozess
Die Bibel
Ignatius von Loyolas Geistliche Übungen

7. Die siebte Frage stammt vom Heidelberger Theologen Philipp Stoellger: Wenn Gnade ein Ereignis der Kontingenz ist und es um die Gnade Gottes geht: wie verhalten sich Gott und Kontingenz zueinander?

Dass Gnade ein Ereignis der Kontingenz oder ein kontingentes Ereignis ist bedeutet mit Badiou, dass ihr Eintreten nicht aus der bestehenden Ordnung der Normen und Gründe ableitbar ist oder aus der Ordnung subjektiver Vermögen herstellbar. Die so verstandene Kontingenz der Gnade ist – dem Begriff nach – Voraussetzung für die Freiheit Gottes im Gnadengeschehen und den Gnadencharakter der Gnade: Nur wenn Gnade in dem Sinn kontingent ist, dass ihr Eintreten nicht durch menschliches Handeln hergestellt werden kann, ist sie ungeschuldet, i.e. freies Gottesgeschenk. Und nur wenn Gnade nicht aus der bestehenden Ordnung der Gründe und Normen abgeleitet werden kann, kann sie diese Ordnung nicht nur reproduzieren, sondern erfüllen. Der Sache nach müsste es heißen: Gottes Freiheit, die Liebe ist, ist der Grund für die Kontingenz der Gnade.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)