"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
50. Folge: 7 Fragen an Christof Breitsameter
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb 2012 die Rubrik "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview gestartet.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind stets dieselben, nur die siebte und letzte Frage ist eine individuelle Frage. Diese wird in der Regel von einem externen Fragesteller formuliert. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Die Fragen der 50. Folge beantwortet der an der Universität München lehrende Moraltheologe Christof Breitsameter. Kürzlich ist sein neues Buch erschienen: Das Gebot der Liebe – Kontur und Provokation.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Weil es in diesem Buch um eine neue Sichtweise der so genannten Gebote der Nächsten- und Feindesliebe geht.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Zum einen will ich die Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament in moralischen Themen stark machen; zum anderen soll das Prinzip der Reziprozität einen Deutungsschlüssel für die zentralen moralischen Intuitionen bereitstellen. Die Gebote der Nächsten- und Feindesliebe wurden und werden häufig als Asymmetrie gedeutet, so als sei es eine christliche Pflicht, mehr zu geben als zu nehmen. Ich möchte nun zeigen, dass an einen Ausgleich zwischen Geben und Nehmen gedacht ist, was durch den Begriff der Reziprozität zum Ausdruck kommen soll.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Einerseits sollen neue exegetische Erkenntnisse (ich beziehe mich insbesondere auf Martin Ebner und Matthias Adrian) Eingang in den Diskurs der theologischen Ethik finden, andererseits soll der exegetische Diskurs neu auf zentrale ethische Themen aufmerksam werden.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Natürlich mit Jesus selbst, ob er sich denn verstanden fühlt (und nach unserem Glauben sollte das nicht unmöglich sein).

5. Ihr Buch in einem Satz:

Die christliche Ethik sollte sich (endlich) mit der modernen Welt versöhnen, weshalb sie die zentralen Intuitionen der Bibel keineswegs aufgeben, jedoch transformieren muss. Hier denke ich etwa daran, dass modern die Forcierung von Egoismus innerhalb kooperativer Strukturen besser sein kann als die Forcierung von Altruismus. Dabei versuche ich insbesondere, den Begriff der Gabe präzise zu fassen.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Ich würde die Frage gerne mal verändern und fünf Platten (oder CDs) vorschlagen (in freier Anlehnung an Thomas Manns Zauberberg (der unter den fünf Büchern vermutlich knapp nicht wäre) und das berühmte Grammophon-Kapitel, das ja ebenfalls eine Einsamkeitsfiktion darstellt):
1. Mozart: Don Giovanni, 2. Bach: Goldberg-Variationen, 3. Beethoven: Diabelli-Variationen, 4. Mundry: Mouhanad, 5. Andre: rwh 1

7. Die siebte Frage stammt vom Philosophen Peter Trawny, der gerade eine "Philosophie der Liebe" veröffentlichte: In der Geschichte des Christentums haben sich mindestens zwei Darstellungsweisen des Gekreuzigten durchgesetzt. Da ist gewiss Grünewalds Isenheimer Altar zu nennen, der Jesus als verwesenden geschundenen Leichnam zeigt. Dem könnte man den Gekreuzigten von Velázquez entgegensetzen, den strahlenden, durchaus erotischen Christus. Ich frage Sie, ob nicht diese erotische Unterströmung des Christus-Verhältnisses im Christentum, die man womöglich schon in der biblischen Darstellung von Jesus von Nazareth finden könnte und die von Mystikerinnen wie Theresa von Ávila oder Mechthild von Magdeburg ganz direkt aufgenommen wurde, ein noch anderes Liebesverständnis als das der Nächsten- und Feindesliebe (in denen von persönlicher Zuneigung zum erotisch Schönen abgesehen werden muss) enthalten könnte – und ob und gegebenenfalls wie diese Liebesauffassungen miteinander verbunden werden könnten, ohne auf das Sakrament der Ehe zu verweisen?

Hier müsste man das Verhältnis von Unterströmung und Unterdrückung der Erotischen im Christentum diskutieren, vor allem müsste die Unterdrückung des Erotischen revidiert werden. Dann würde sich diese Frage vermutlich gar nicht (mehr) stellen. In der Bibel, mit der ich mich in diesem Buch ja beschäftige, beziehen sich Normen direkt auf die Ehe, nicht auf die erotische Liebe und nur indirekt, nämlich über die Ehe, auf die erotische Liebe. Die mystische Einheit von Mann und Frau, die ja viel später kommt, ist meiner Ansicht nach Ausdruck des Gebots der Gottesliebe: Es geht um die Hingabe an Gott, durch die man sich selbst erkennen kann. Hier sind Idealisierung und Reflexion die entscheidenden Gesichtspunkte, nicht sinnliches Begehren. Zumindest in gehobenen Schichten war zu dieser Zeit die Unterscheidung zwischen "keuschen" sexuellen Akten innerhalb der Ehe und erotisch-leidenschaftlichen Beziehungen außerhalb der Ehe geläufig und auch akzeptiert. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass es in der Mystik wirklich um Erotik ging, es sei denn, wie gesagt, um unterdrückte Sinnlichkeit.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)