"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
53. Folge: 7 Fragen an Manuel Schmid
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb 2012 die Rubrik "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview gestartet.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind stets dieselben, nur die siebte und letzte Frage ist eine individuelle Frage.
Die Fragen der 53. Folge beantwortet der Schweizer Theologe Manuel Schmid zu seiner Basler Promotionsschrift Gott ist ein Abenteurer. Der Offene Theismus und die Herausforderungen biblischer Gottesrede.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Zu behaupten, diese Welt bräuchte mein Buch, wäre mir doch eine Ecke zu steil. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die zentralen Einsichten der Studie mitten in unsere Zeit hineinsprechen: Der sogenannte "Offene Theismus", den ich kritisch untersuche, versteht die Schöpfung als ein Abenteuer der Liebe Gottes, welches auch für Gott selbst ein Moment der Unkontrollierbarkeit und Unvorhersehbarkeit aufweist. Gott lässt sich auf das Risiko der Geschichte ein, um Menschen für seine Gemeinschaft zu gewinnen und sie durch die Unwägbarkeiten des Lebens zu begleiten. In unserer gegenwärtigen Risikogesellschaft, die zu einem hochkomplexen und fragilen Gebilde geworden ist, ist eine solche Vorstellung enorm anschlussfähig: Sie lässt Gott nicht in zeitloser Ewigkeit über einem vorgefertigten Plan wachen, sondern macht ihn zum Teilhaber jenes Wagnisses, das wir Leben nennen.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Das Buch arbeitet die jahrelange hitzige Debatte um den "Offenen Theismus" in den USA auf und versucht, die Anliegen dieser Bewegung mit der hiesigen, deutschsprachigen Theologie ins Gespräch zu bringen.
Die den Offenen Theismus prägende Vorstellung eines dynamischen Gottes, der in interaktiver Beziehung zur Welt steht und in der Geschichte des Menschen mitgeht, kann zum einen eine neue Perspektive auf biblische Texte eröffnen. Zeugnisse der Überraschung, Enttäuschung, oder der Reue Gottes können viel unverkrampfter wahrgenommen und in ihrem theologischen Gehalt gewürdigt werden, weil der Reflex entfällt, sie durch einen dogmatischen Begriff der Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit Gottes übersteuern und "unschädlich" machen zu müssen.
Dann erlauben die Grundimpulse des Offenen Theismus auch, Jesus Christus als Selbstoffenbarung des lebendigen Gottes tiefgreifender ernst zu nehmen als in vielen herkömmlichen Ansätzen. Die Menschwerdung des Sohnes in Raum und Zeit ist dann nicht nur als eigenartiger Ausnahmefall des göttlichen modus operandi wahrnehmbar (der mit dem ewigen, zeitlosen, unveränderlichen Wesen Gottes letztlich kaum zu vermitteln ist), sondern als Zuspitzung jenes geschichtlich-wechselseitigen Verhältnisses, in dem Gott schon immer zur Welt stand: Der Gott, der das Abenteuer der Menschheit von Anbeginn an begleitet und sich schon auf dem Weg Israels als der nahe, mitleidende und erlösende Gott erwiesen hat, tritt nun als Mensch mitten unter die Menschen.
Natürlich ist davon auch die Bestimmung klassischer Gottesattribute betroffen: Im Unterschied zur Prozesstheologie will der Offene Theismus die traditionellen Eigenschaften Gottes formal festhalten – er bietet aber hilfreiche Impulse zu deren inhaltlicher Neubestimmung und Profilierung. So wird etwa die Unveränderlichkeit, Allmacht und natürlich die Allwissenheit Gottes im Sinne einer "offenen Sicht der Zukunft" modifiziert und stimmig mit Gottes Teilhabe an der Geschichte zusammengedacht. Die deutschsprachige Theologie weist hier parallele Entwicklungen auf, könnte von offen-theistischen Einsichten aber auch wesentlich profitieren.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

In den 1990er und 2000er Jahren wurde der Offene Theismus in den USA enorm angeregt (um nicht zu sagen verbittert) diskutiert. Die Kontroverse um jene Bewegung, welche Gott seine Allwissenheit abzusprechen schien, hat weit über seinen Ursprungsort im amerikanischen Evangelikalismus hinaus hohe Wellen geschlagen und eine Flut an Veröffentlichungen hervorgebracht.
Demgegenüber wurde diese theologische Sicht in der deutschsprachigen Theologie nur schleppend rezipiert. Mein Buch schließt hier eine Forschungslücke und verfolgt das Ziel, den hiesigen Diskurs anzuregen: Die Fragen nach dem Verhältnis menschlicher und göttlicher Freiheit (und dann auch menschlicher Freiheit und göttlichem Willen, göttlicher Vorsehung) und die Suche nach einer Theologie, welche die menschliche Selbstbestimmung ernst nimmt und Gott als ermöglichendes, freisetzendes, lebensstiftendes Gegenüber des Menschen zu denken vermag, treibt schließlich auch Theologen in unseren Breitengraden um.
Dabei handelt es sich zunächst um theologisch-philosophische Problemstellungen, weshalb zu den ersten Rezipienten im deutschsprachigen Raum auch Vertreter*innen der sog. "analytischen Theologie" gehören: Es handelt sich hier um Anstrengungen v.a. katholischer Provenienz, theologische Topoi auch mit Mitteln der analytischen Philosophie zu durchdringen und plausibel zu machen.
Im Unterschied dazu betrifft mein Beitrag dann die biblisch-hermeneutische Dimension der Debatte: Die Offenen Theisten verstehen sich nämlich nicht in erster Linie als Religionsphilosophen, sondern als Theologen mit starkem Bemühen, ihre Sicht biblisch-exegetisch herzuleiten. Sie werfen in dieser Hinsicht zentrale und weitgehend vernachlässigte Fragen von enormer hermeneutischer Tragweite auf – etwa diejenige nach dem Verständnis und den Grenzen sog. "anthropomorpher" Beschreibungen Gottes. Meine Arbeit setzt sich kritisch-weiterführend damit auseinander.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Da gäbe es eine Menge möglicher Kandidaten: Etwa der katholische Fundamentaltheologe Armin Kreiner, der orthodoxe Theologe David Bentley-Hart, die Prozesstheologen John Cobb oder Roland Faber, oder die anglikanische Systematikerin Sarah Coakley. Ich rede aber auch gerne mit Menschen über die Thesen dieses Buches, die theologisch nicht versiert und noch nicht einmal interessiert sind – um zu sehen, wie sie die Idee eines abenteuerlichen Gottes wahrnehmen.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Gott ist ein Abenteurer der Liebe, der mit seiner Schöpfung in eine unabsehbare Geschichte eingetreten ist, im Zuge derer er die Liebe des Menschen zu gewinnen sucht – das ist die Grundüberzeugung des Offenen Theismus, dessen biblisch-theologische Begründungen ich in diesem Buch kritisch untersuche.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

1. Ja, ich weiß, das kommt wenig überraschend – aber die Bibel muss schon mit.
2. Jürgen Moltmann: Der gekreuzigte Gott.
3. Heinzpeter Hempelmann: Wir haben den Horizont weggewischt.
4. Schiffebauen für Dummies.
5. Karl Barths Kirchliche Dogmatik – einfach für den Fall, dass das mit dem Schiffebauen doch nicht funktioniert ...

7. Die siebte und letzte Frage stammt von dem katholischen Theologen Johannes Grössl: Wenn es um die Inkarnation, das Leben, Leiden und Sterben Jesu Christi geht, verkünden selbst Offene Theisten keinen abenteuerlustigen Gott. Wie ist eine göttliche Vorsehung bezüglich der Erlösung durch Jesus Christus vereinbar mit der Vorstellung, dass Gott mit der Schöpfung und in der Geschichte ein Risiko eingeht, weil er doch die menschliche Freiheit respektiert?

Ich sehe diese berechtigte Rückfrage im Offenen Theismus kaum befriedigend beantwortet. Sicher: Es ist für Gott auch nach offen-theistischer Überzeugung kein Problem, sich bestimmte Dinge vorzunehmen und seine Handlungsabsichten im Voraus anzukündigen. So können Offene Theisten auch die Inkarnation des Gottessohnes als Teil des göttlichen Schöpfungsplanes anerkennen, ohne damit sagen zu müssen, dass alle Ereignisse der Geschichte vorherbestimmt sind.
Für schwierig halte ich aber die im Offenen Theismus verbreitete Ansicht, dass gerade die Schlüsselereignisse des Dienstes Jesu – seine Versuchung und Berufung, sein Gehorsam und schließlich seine Selbsthingabe am Kreuz – nicht in geschöpflicher Freiheit, sondern als "fixierte Ereignisse" nach der Vorherbestimmung Gottes erfolgten. Es mutet jedenfalls etwas eigenartig an, wenn die Offenen Theisten die Freiheit des Menschen als Gottes ebenbildliches Gegenüber so leidenschaftlich verteidigen – nur um dann ausgerechnet für das Leben Jesu Christi gewissermaßen den Joker zu ziehen und die Ausnahme von der Regel geltend zu machen.
Als dem paradigmatischen Menschen sollte man gerade dem menschgewordenen Gottessohn die Freiheitsräume des geschöpflichen Daseins zugestehen. Dann aber wird auch das Leben, der Dienst und die Selbsthingabe Jesu zu einem letztlich risikohaften Unternehmen. Die biblischen Überlieferungen erwecken auch nicht den Eindruck, als wäre bei der Versuchung Jesu in der Wüste oder in seinem Gebetskampf im Garten Gethsemane nichts auf dem Spiel gestanden, als wäre der gottgefällige Ausgang dieser Ereignisse selbstverständlich gewesen. Ich habe in einem neueren Aufsatz versucht zu zeigen, dass sich in der Menschwerdung und Selbsthingabe des Sohnes nicht nur die Rettung der Menschheit vollzieht, sondern dass Jesu Leben, Tod und Auferstehung zugleich als ultimative Bewährungsprobe der trinitarischen Liebe verstehen lässt. Der inkarnierte Sohn empfängt und erwidert die Liebe des Vaters und bleibt in der Kraft des Geistes im Angesicht von Alternativen – und besiegelt damit die Liebe, in und aus welcher der dreieinige Gott von Ewigkeit her lebt (vgl. Schmid, Manuel: Bewährte Freiheit. Eine Rekonstruktion und Weiterführung des theologischen Freiheitsbegriffs im Offenen Theismus. In: Von Stosch, Klaus; Wendel, Saskia; Breul, Martin & Langenfeld, Aaron (Hg.): Streit um die Freiheit. Philosophische und theologische Perspektiven, Paderborn 2019, 365-392.)


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)