"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
54. Folge: 7 Fragen an Rudolf Langthaler
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb 2012 die Rubrik "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview gestartet.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind stets dieselben, nur die siebte und letzte Frage ist eine individuelle Frage.
Die Fragen der 54. Folge beantwortet der Wiener Religionsphilosoph Rudolf Langthaler zu seinem neuen Buch Führt Moral unumgänglich zur Religion? Zur Kritik der kantischen Religionsphilosophie bei Jürgen Habermas – eine Entgegnung.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Jürgen Habermas hat sich seit rund 20 Jahren intensiv mit dem Thema "Religion" beschäftigt. Dabei spielt - nicht zuletzt in seinem kürzlich erschienenen großen Werk "Auch eine Geschichte der Philosophie", das ein enormes Echo gefunden hat – auch seine kritische Auseinandersetzung mit Kants Religionsphilosophie eine bedeutsame Rolle. Habermas äußert darin zugleich eine energische Kritik an Kant, die bisher m.E. jedoch kaum in der gebotenen Genauigkeit berücksichtigt wurde. Ebendies versucht mein Buch zu leisten – und nur insofern "braucht" es mein Buch.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Gegenüber einer szientistischen Selbstverstümmelung der Philosophie möchte Habermas einerseits an den von Kant formulierten Grundfragen "Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?" festhalten, weil sie für unser "Orientierungsbedürfnis", für die "rationale Klärung unseres Selbst- und Weltverständnisses", unverzichtbar sind, d.h. nicht preisgegeben werden dürfen. Zugleich distanziert sich Habermas jedoch entschieden von Kants Religionsphilosophie, zumal diese in ihrer Bemühung um eine Begründung des religiösen Glaubens zuletzt "ohne Erfolg" bleibe und besonders der der kantischen Postulatenlehre eingeräumte "Kredit nicht gedeckt" sei. Gegen diesen Befund erhebt mein Buch (wie ich hoffe: begründeten) Einspruch. Im Sinne eines erkennbaren "Lernprozesses" möchte Habermas "Spuren der Vernunft in der Geschichte" ausfindig machen, die uns ermutigen können, "unsere praktische Vernunft für die politische Reform skandalöser gesellschaftlicher Verhältnisse zu nutzen". Das ist zwar auch eine wichtige Perspektive der kantischen Rechts- und Geschichtsphilosophie und deren Aussicht, "mit Grund zu hoffen"; jedoch erschöpft sich Kants Religionsphilosophie darin noch nicht, weil das von ihm geltend gemachte unumgängliche "Bedürfnis der fragenden Vernunft" darüber notwendig hinausweist. Das will ich – alte und "neue Perspektiven" zugleich – gegen Habermas zeigen.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

In Habermas' Auseinandersetzung mit dem Thema "Religion" im Laufe der Zeit (seit den 1970-er Jahren) sind auch recht unterschiedliche Einschätzungen und Akzentuierungen zu beobachten, die durchaus teilweise auch Selbstkorrekturen und daraus entwickelte Problemperspektiven erkennen lassen. Habermas' Beschäftigung mit diesem Thema war – und ist! – jedoch nicht selten theologischer- und auch kirchlicherseits sehr kurzsichtigen und auch unredlichen "Lockrufen" und "Einflüsterungen" ausgesetzt, die ihn im Alter "religiös musikalisch" zurichten ("taufen") wollen. Gegenüber einem angeblichen "Sinneswandel" in Sachen Religion macht Habermas – "alt, aber nicht fromm geworden", d.h. nach wie vor "religiös unmusikalisch" – jedoch ausdrücklich die "Kontinuität von Gedanken, die einen angeblichen Sinneswandel dementieren", geltend – ein gewiss notwendiges Schutzschild gegen Vereinnahmungen, mit H. Heine formuliert: "kein Glockenklang hat ihn verlockt, keine Altarkerze hat ihn geblendet". Nicht zuletzt impliziert das "Postskriptum" in Habermas' jüngstem Werk eine eindeutige Absage an theologische und kirchliche "Zurufe" – das sollte man wohl beherzigen und sich statt solchen Vereinnahmungsversuchen um eine redliche Auseinandersetzung mit seinen Motiven bemühen. Eine eingehendere denkerische Bemühung um noch "ungehobene semantische Potenziale der religiösen Tradition" (die Habermas wiederholt erwähnt und auch erfragt) ist jedoch theologischer- und kirchlicherseits weithin zu vermissen – stattdessen ist auch in kirchlichen Verlautbarungen – intellektuell anspruchslos – weithin eine Flucht in die Folklore und in "narzisstische Spiritualität", in inhaltsleere Erbaulichkeit und zunehmend in nivellierende "NGO-isierung" der christlichen Botschaft (übrigens auch bei Katholiken- und Kirchentagen!) zu beobachten, die dabei das "Proprium" des Christlichen verliert bzw. preisgibt: Der "vernünftige Restbestand" des Christlichen ist lediglich das gesellschaftliche Engagement der "Caritas" ... (Auch Kirchenzeitungen und Diözesanblätter u. ä. verraten dies). Nietzsches Befund ist wohl aktueller denn je: "Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht Grüfte und Grabmäler Gottes sind?" Das spiegelt sich auch in den zahllosen Kirchenaustritten wider, die gewiss nicht nur als Protest gegen den amtskirchlichen Umgang mit dem „Missbrauchs-Thema“ anzusehen sind ...
Was ich damit meine: Auch in der "Verkündigung" ist weithin nur von den globalen Krisen – vom bedrohenden Klimawandel, vom Pandemie-, Flüchtlings- und Armutsproblem und ähnlichen Problemen – die Rede – oftmals noch dazu in einer besserwisserisch-dilettantischen Weise; nicht, dass dies nicht sehr wichtige und bedrängende Themen wären! – jedoch ist ihre "theologische" bzw. kirchliche Thematisierung weithin lediglich ein billiges "Ausweichmanöver", weil man in den Kernthemen des christlichen Glaubens selbst – Gott, Trinität, Menschwerdung des Gottessohnes, stellvertretender Sühnetod, Tod, Auferweckung und Himmelfahrt Jesu usw. – offenbar nichts Vernünftiges zu sagen hat und die stets formelhaft wiedergekäuten "Erbaulichkeiten" ganz einfach schal geworden sind. Ein stillschweigender Ausverkauf der "Glaubenssubstanz" geht damit einher – auch vom universitären "Theologie-Betrieb" – in einer "Flucht nach vorne" – oftmals "aktionistisch" oder auch durch historisierende bzw. "ästhetisierende Schöngeisterei" unterstützt ... Dem soziologisch eindeutig erhobenen – gar nicht schleichenden – gesellschaftlichen Bedeutungsverlust, ja der Erosion des Christlichen wird man auf diese Weise auch theologischerseits – auch im Theologie-Studium – wohl kaum sinnvoll begegnen ...

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Natürlich mit den Herren Habermas und Kant selbst (am besten in einem späteren eschatologischen Dreiergespräch der unsterblichen Seelen Habermas', Kants und Langthalers "über Gott und die Welt" – und zwar unter göttlicher Moderation, also wohl: dem schiedsrichternden "Heiligen Geist"); schon zu Lebzeiten würde ich gern mit Verteidigern und Gegnern der kantischen Religionsphilosophie darüber diskutieren – und auch mit Vertretern der "Kritischen Theorie", die – so wie vermutlich Adorno und Horkheimer – der kantischen Religionsphilosophie vielleicht auch näher stehen als Habermas selbst ... – aber natürlich auch mit allen sachkundigen philosophischen und theologischen KollegInnen!

5. Ihr Buch in einem Satz:

Nach einer kurzen Darlegung der grundlegenden Differenzierungen der kantischen Ethik und Religionsphilosophie wird Habermas' Interpretation und Kritik an Kants Religionsphilosophie einer ausführlichen Kritik ausgesetzt – weil eben – anhand der kantischen Leitthese in nur einem "thetischen" Satz formuliert – "Moral unumgänglich zur Religion führt".

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Bücher für eine "einsame Insel" müssen natürlich vom "Insel-Verlag" selbst kommen – deshalb würde ich wohl am besten die im "Insel-Verlag" erschienene 6-bändige Kant-Ausgabe von Weischedel mitnehmen – das ist aber eben schon ein Buch zu viel, weshalb ich den ersten Band ("Vorkritische Schriften") zurücklassen würde ...

7. Die siebte und letzte Frage stammt vom Gründer und Chefredakteur des MFThK: Wo sehen Sie die größten Defizite in der Rezeption der Kantischen Religionsphilosophie in der Theologie der letzten 50 Jahre?

Vor allem manche katholische Theologen (und die "Amtskirche"!) tun sich nach wie vor besonders mit Kants Kritik der Gottesbeweise und mit seiner Konzeption der "moralischen Autonomie" einigermaßen schwer (nicht zuletzt an kirchlichen Hochschulen ist Kant oftmals noch immer "persona non grata"); Vertreter aller christlichen Konfessionen ignorieren weithin beharrlich Kants Bedenken gegenüber christologischen-soteriologischen Themen (vor allem: "Menschwerdung Gottes", "Gottessohnschaft Jesu", "stellvertretender Sühnetod") und verzichten weithin darauf, diese Themen "mit kalter Vernunft öffentlich zu prüfen" (so die unnachgiebige Forderung Kants). Das bevorstehende Kantjubiläum im Jahr 2024 (300. Geburtstag Kants) wäre ein guter Anlass, diese Ausweichmanöver zu beenden und sich der kantischen Kritik zu stellen ... Nicht zuletzt bleibt Kants Kritik an einem "vernunfttötenden Mystizismus und Schwärmerei" (oftmals in sehr nebelig-diffuser Weise "Spiritualität" genannt!) zu beherzigen – die schon erwähnte aufgeklärte Suche nach unabgegoltenen "semantischen Potentialen" der Religion (Habermas) ist ja schwierig genug und auch die Messer der Religionskritik sind (trotz der mitunter verkündigten angeblichen "Wiederkehr der Religion", die ich allerdings nicht sehe!) scharf ... Jedenfalls ist Kants Mahnung gegenüber der Theologie nach wie vor höchst aktuell und beherzigenswert: "eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg ankündigt, wird es auf Dauer gegen sie nicht aushalten" ... Diese Mahnung berührt zuletzt wohl auch indirekt den Fortbestand theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten ...


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)