"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
6. Folge: 7 Fragen an Wolfgang Treitler

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
In der sechsten Folge beantwortet erstmals ein österreichischer Theologe die Fragen des MFThK-Kurzinterviews. Pünktlich zum 100. Geburtstag des Schriftstellers und Publizisten Jean Améry legt der Wiener Fundamentaltheologe Wolfgang Treitler eine von Elmar Salmann angeregte Studie unter dem Titel Erlösung durch Platon-Christus? Die schweren Körper von Simone Weil und Jean Améry vor. Das MFThK veröffentlicht das erste Kapitel dieses Buches als Leseprobe.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

In den Geisteswissenschaften fällt oftmals der Körper des Menschen aus. Das hängt vielleicht daran, dass seit Platon bis in unsere Tage herein das Fleisch, der Körper, das Materiale des Menschen als etwas Unbedeutendes, ja als etwas Gefährliches angesehen wird, das man entweder zerstören muss oder das gequält werden muss. Für beide Formen des Körperzugangs stehen Simone Weil und Jean Améry. Simone Weil, eine gehorsame Schülerin Platons, die dessen Ideen mit ein paar christlichen und asiatischen Motiven angereichert hat, verliert durch diese Missachtung ihres Körpers ihre politischen Visionen, ihre Solidarität mit dem jüdischen Volk und schließlich ihr Leben. Sie erfüllt den Hass auf ihren Köper, indem sie ihn solange beherrscht und niederdrückt, bis sie dann verhungert. Jean Améry erlebte die Qual der Folter, durch die er nur noch Körper war und blieb. Ihm wurde jedes Geistdenken, das darüber hinausführte, zum Schwindel derer, die vom Körper keine Ahnung haben. Deshalb weist mein Buch anhand zweier massiver Erfahrungen des Körpers auf eben diesen Körper hin, wie er weithin nicht wahrgenommen und anerkannt wird. Und es weist auch daraufhin, dass christliches Erlösungsdenken, an Platon orientiert, nirgendwo anders hinführt als in eine körperlose Idee, die den wirklichen Menschen allein lässt. Besonders an Simone Weil wird ja deutlich, dass ein platonisch gedeuteter Christus eine leere, bibelferne Vorstellung erzeugt, gewissermaßen eine religiöse Fata Morgana, an der man verhungert.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Drei Perspektiven sind es, um die es geht: Zum einen ist es theologisch wichtig, sich nach Deutemöglichkeiten umzusehen, die nicht wie die platonischen oder geistphilosophischen sich erschöpft haben oder auch durch deren Ansatz und Wirkung verdächtig geworden sind. Gerade die deutsche Philosophie, die bei Kant noch kritisch war, verstieg sich, weithin an der Hand Platons, mehr und mehr ins Geistige, Abstrakte und Jenseitige; sie selbst und ihre Epigonen konnten so fast alles rechtertigen, was gegen den Körper angetan wurde. Das gipfelt bei Heidegger und seinem Seinsgerede, das den Terror gegen den Körper lassen konnte, wie er war, und im Einverständnis mit dem Führer dachte. Jean Améry hat das in wenigen Sätzen durchschaut. - Zum zweiten lässt sich bei Jean Améry, aber auch bei Simone Weil etwas Wichtiges für jede Wissenschaft erlernen: Schulisch ungebundenes, aufrichtiges, ehrliches Nachdenken und echte Solidarität mit den Trauergestalten. Das ist gerade auch für Theologie heute wichtig, die in manchen ihrer Erscheinungen eher einer erwarteten Meinung nachdenkt als dem Zeugnis des biblischen Gottes mit und vor den tragischen Gestalten der jüngeren Geschichte. - Zum dritten daher: Denken aus dem Widerstand und als Gestus des Widerstands. Denken als Kritik, vor allem als Kritik der Allgewalt des Begriffs, des Geistes, des Seins.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Ich denke, das Buch erinnert direkt an das Unerlöste menschlichen Daseins und weigert sich, eben das irgendwie zu überspielen. Die katholische Kirche steht im Jahr des Glaubens. Woran aber glauben katholische Christen? Und provokant gefagt: Was lässt man alles beiseite, um so glauben zu können? Wie viel Wohlstand und günstiges Geschick braucht es dazu? Jean Améry mehr noch als Simone Weil ist eine massive Anfrage an christliches Grundverständnis von Erlösung, Fleischwerdung des Wortes, Character indelebilis der Getauften - also an den dauerhaften Charakter der Taufe. Da tut sich eine vergessene Perspektive auf, die zugleich so etwas wie eine persönliche Option ist: Mir ist es biblisch gesehen wichtiger und näher, an der Seite eines Suizidärs wie Jean Améry zu bleiben als eine Erlösung auszudenken oder mitzudenken, die ihn schlichtweg fallen lässt oder mit billigen, abgewetzten Floskeln mitnehmen will.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

In aller Offenheit mit dem Papst als einem suchenden Christenmenschen.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Sucht Christus nicht bei Platon, sondern im Fleisch derer, die mit ihm gemeinsam aus dem Volk Israel kommen, damals und heute.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

1. Franz Werfel, Höret die Stimme
2. Aharon Appelfeld, Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen
3. Elie Wiesel, Gesang der Toten
4. Moshe Zwi Berger, Vision of the Psalms
5. Anton Kuh, Der unsterbliche Österreicher

7. Stellen Sie sich vor, Sie könnten mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit reisen und dürften für ein theologisches Internetportal Jean Améry und Simone Weil interviewen. Was wäre jeweils Ihre erste Frage?

Das ist sehr schwer, aber Simone Weil würde ich fragen: Was hat sie denn an Platon so fasziniert, dass sie sich den Hass auf ihren jüdischen Körper habe einreden lassen? Und Jean Améry würde ich fragen: Sie haben die Folter als das schlimmste der Körperfeste beschrieben, das zur Revolte dagegen treibt. Wie soll ein Christenmensch, der ihr Zeugnis heute liest, revoltieren und wogegen soll er sich unbedingt auflehnen?


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)