"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
8. Folge: 7 Fragen an Boris Krause

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Die Fragen des achten MFThK-Kurzinterviews beantwortet der Münsteraner Theologe Boris Krause, dessen Doktorarbeit im Fach Christliche Sozialwissenschaften (Doktorvater: Karl Gabriel) gerade unter dem Titel Religion und die Vielfalt der Moderne – Erkundungen im Zeichen neuer Sichtbarkeit von Kontingenz erschienen ist.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Das Buch hinterfragt Selbstverständlichkeiten, es ist vom Plädoyer für selbstreflexives, heterodoxes und insofern kritisches Denken getragen. Es fahndet nach Konstruktionen und Weichenstellungen in geistes- und sozialwissenschaftlich etablierten Diskursen und zeigt auf, wie deren Befunde auch anders ausfallen können. Es ist davon auszugehen, dass dieses Vorgehen heute bei kaum einem Diskurs mehr angebracht ist als bei der Bestimmung des Verhältnisses von Moderne und Religion.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Das Buch setzt bei der Beobachtung an, dass viele Gesellschaften in der Welt sich modernisieren, ohne dass dort notwendig ein Niedergang von Religion zu beobachten ist. Offensichtlich steht dies im Widerspruch zu einer lange Zeit für unumstößlich gehaltenen soziologischen Säkularisierungsthese, die von einer Spannung zwischen Moderne und Religion ausgeht.
Das Buch will neue Bestimmungsperspektiven aufzeigen. Es will ein alternatives, weniger ideologisch belastetes und weitaus vielfältigeres Verständnis von Moderne darlegen. Zugleich wird ein angemesseneres Religionsverständnis vertreten, als es heute gängig ist und z.B. vielen religionssoziologischen Umfrageprojekten zugrunde liegt.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Bemerkenswerter Weise hat das Säkularisierungsdenken nicht nur die Sozialwissenschaften beherrscht, sondern hat sich auch im theologischen, nicht zuletzt im kirchlichen und pastoralen Bewusstsein tief verankert. Innerhalb des interdisziplinären Wissenschaftsdiskurses etwa haben Vertreter/-innen theologischer Zunft so eher Außenseiterrollen einnehmen müssen.
Das Buch will insbesondere die Theologie ermutigen, in der Frage nach dem Schicksal der Religion in der Moderne nicht allein den Sozialwissenschaften das Feld zu überlassen. Im Gespräch mit den Sozialwissenschaften kann Theologie allein durch ihr dogmengeschichtliches Wissen dazu beitragen, Modernisierungspfade zu erklären und dadurch unsere heutige Moderne zu verstehen.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Michael Schmidt-Salomon

5. Ihr Buch in einem Satz:

"Moderne" und "Religion" sind zunächst einmal keine Realitäten, sondern intellektuelle Konzepte, die je nach historischen Bedingungen unterschiedlich entworfen worden sind und entworfen werden.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

(1) Christsein (Hans Küng)
(2) Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust (Zygmunt Bauman)
(3) Mystische Erfahrung und soziales Engagement (Henri Boulad)
(4) Der kalte Krieg im Kopf. Wie die Psychologie Naturwissenschaft und Religion verbindet (Julius Guhl)
(5) Zwölf Gramm Glück (Feridun Zaimoglu)

7. Sie machen die "heterodoxe" Konzeption der multiplen Modernen stark, die "vielfältige, nicht nur westlich beheimate Modernevorstellungen als gültig erachtet", eine Vielzahl von Modernisierungspfaden als legitim erachtet und somit einen engen, beispielsweise mit dem westlichen Autonomiegedanken verknüpften Modernebegriff aufgibt und dadurch den Anliegen eines pluralitätsoffenen und kontingenzsensiblen Postmodernismus Rechnung trägt. Damit erscheint die der Theologie der Gegenwart auferlegte Aufgabe, ein konstruktives Verhältnis zur Moderne zu gewinnen, in einem neuen Licht, da nicht mehr von "der" Moderne im Singular ausgegangen wird. Was bedeutet dieser Ansatz bei "multiplen Modernen" nun für die Theologie: Welche Modernisierungspfade darf sie gehen und an welchen Wegweisern kann sie sich dabei orientieren?

Es geht mir um die Bereinigung eines bislang normativ stark aufgeladenen Modernebegriffs, wodurch er für die Kennzeichnung von Entwicklungen auch in nichtwestlichen Zivilisationen anwendbar wird. Damit muss (und soll) man nicht den Autonomiegedanken aufgeben, man muss ihn nur nicht als "notwendiges" Charakteristikum für die Zuweisung des Merkmals "modern" sehen. Das ist für Europäer sicherlich heterodox und gewöhnungsbedürftig, es birgt m.E. aber eine Reihe analytischer Vorteile, z.B. die Möglichkeit, bestimmte Konflikte im Weltgeschehen differenzierter zu betrachten, als einfach nur anhand des Schemas "modern – nicht/-antimodern", "modern – traditional" etc. zu interpretieren. Ich würde die Position allerdings nicht als "postmodernistisch" kennzeichnen, weil dieser Begriff sehr ambivalent ist. Es handelt sich vielmehr um eine "kritische" Position auf dem Boden der Moderne. Da sich durch den entwickelten Ansatz auch der Konflikt von Moderne und Religion – wie er ja in der Säkularisierungsthese vertreten wird – entschärft wird, müssten Religion, Kirche und Theologie nicht "zwingend" als Verliererinnen von Modernisierung gesehen werden. Christliche Theologien könnten innerhalb des Diskurses zur Genese des europäischen Modernisierungspfads als kenntnisreiche Gesprächspartner entdeckt werden, sofern Nichttheologen – insbesondere Sozial- und Kulturwissenschaftler – bereit sind, normative Scheuklappen abzulegen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)