Zum 50. Todestag von Pablo Neruda

Ich will in einer Welt ohne Exkommunizierte leben. Ich werde niemanden exkommunizieren. Ich werde morgen auch nicht zu dem Priester sagen: "Sie können niemanden taufen, weil Sie Antikommunist sind." Ich würde auch nicht zu dem Nächsten sagen: "Ich werde Ihr Gedicht, Ihre Schöpfung nicht drucken, weil Sie Antikommunist sind." Ich will in einer Welt leben, in der die Menschen nur menschlich sind, ohne jeden anderen Titel als diesen, ohne sich eine Regel in den Kopf zu setzen, ein Stichwort, ein Etikett. Ich will, dass man alle Kirchen betreten darf, alle Druckereien. Ich will, dass man niemandem mehr vor dem Bürgermeisteramt auflauert, um ihn festzunehmen oder auszuweisen. Ich will, dass alle lächelnd das Rathaus betreten oder verlassen können. Ich will nicht, dass einer per Gondel fliehen muss, dass einer auf dem Motorrad verfolgt wird. Ich will, dass die große Mehrheit, die einzige Mehrheit, dass alle reden können, lesen, hören, gedeihen. Ich habe den Kampf nie anders verstanden, als dass es keine Strenge mehr gebe. Ich habe einen Weg gewählt, weil ich glaube, dass dieser Weg uns alle zu dauernder Freundlichkeit führt. Ich kämpfe für diese allgegenwärtige, ausgreifende, unerschöpfliche Güte. Von all den Begegnungen zwischen meiner Poesie und der Polizei, von all diesen und anderen Episoden, die ich nicht noch einmal erzählen will, und von denen, die nicht nur ich, sondern viele erlebt haben, die sie nicht mehr erzählen können, ist mir trotz allem ein unbedingter Glaube ans menschliche Schicksal geblieben, eine immer bewusstere Überzeugung, dass wir einer großen Zärtlichkeit zustreben. Ich schreibe in dem Bewusstsein, dass über unseren Köpfen, über all unseren Köpfen, die Gefahr der Bombe schwebt, der Atomkatastrophe, die niemanden und nichts auf der Erde übriglassen würde. Doch das trübt meine Hoffnung nicht. In diesem kritischen Augenblick, diesem Augenzwinkern der Agonie wissen wir, dass das Licht endgültig durch die halbgeöffneten Augen dringen wird. Wir werden uns alle verstehen. Wir werden gemeinsam fortschreiten. Diese Hoffnung ist unwiderruflich.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)