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Der neue Roman von Sasha Marianna Salzmann

Vorstellung des Buches auf der Webseite des Verlags

"Glauben Sie an Gott?", fragte Edil.
"Warum wollen Sie das wissen?" Die Ärztin Lena hatte schon alle möglichen Fragen abwehren müssen, aber diese war ihr in dem Jahr, das sie nun schon praktizierte, noch nicht gestellt worden.
"Es gibt keine Gerechtigkeit im Leben, darum kann ich mich nicht dazu überwinden, an irgendeine höhere Macht zu glauben. Die müsste doch dafür sorgen. Ich bin ein gottloser Muslim, aber sagen Sie es nicht meiner Mutter, sie schneidet mir die Gurgel durch."

Bis vor kurzem waren hier in Mariupol alle noch eingefleischte Kommunisten gewesen, oder zumindest war keiner in die Kirche gegangen, und jetzt riefen die Leute zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit nach Jesus oder sagten irgendwas mit Allah.

"Wissen Sie, Lena Romanowna, in unserer Klinik ist es wie in der Welt dort draußen: Es gibt zwei Typen von Menschen. Die, die etwas im Leben erreichen wollen, und jene, die glauben, sie seien zufällig geboren, sie seien nun mal hier und der Rest liege nicht in ihrer Verantwortung. Sie leben, wie sie fallen, sozusagen." Der Chefarzt stand auf und stellte sich ans Fenster. "Ich glaube nicht, dass die Welt auf den Schultern derer ruht, die nur daran denken, wie sie von einem Monatslohn zum anderen kommen, aber sehen Sie ... der Staat bröckelt, und die Leute müssen sehen, wo sie bleiben. Das ist verständlich. Unser Land liege vom Bauchnabel bis zur Gurgel aufgeschnitten auf dem Operationstisch. Diese ... Umwälzungen, diese Veränderungen ... werden immer mehr Menschen produzieren, die zu allem bereit sind. Sie glauben nur an sich, denn woran sonst sollen sie glauben? Man nimmt, was man kriegen kann, alles andere wäre dumm, nicht? Der Mensch war nie anders, er ist ein Tier. Wenn man ihn nicht in Schach hält, frisst er alles um sich herum auf und verhungert am Schluss, weil nichts mehr übrig ist, was er kahlfressen kann."

Das ist das ganze Problem des Westens, dass sie nichts mit Sicherheit bestätigen oder ausschließen können.

Den Körper ihrer Mutter zu sehen bedeutete, zu sehen, dass ihre Mutter ein Mensch war, dass sie lebte und alterte und irgendwann sterben würde, und das – vor allem das Letzte, das mit dem Sterben – kam nicht in Frage.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)