Eine Kundgebung des Volksvereins für das katholische Deutschland

Am Sonntag, den 2. März 1924, fand im Plenarsaal des Reichstages eine Kundgebung des Volksvereins für das katholische Deutschland statt. Es sprachen Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum), Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns (Zentrum) und Christine Teusch (Zentrum).
Am 26. Februar 1924 hatte vor dem Münchner Volksgericht der Hochverratsprozess gegen Adolf Hitler, Erich Ludendorff und die anderen Beteiligten des Putschversuchs vom 9. November 1923 begonnen. In seiner Verteidigungsrede am 29. Februar 1924 hatte Ludendorff die katholische Kirche und die Zentrumspartei wegen ihrer angeblich "deutschfeindlichen" Politik (etwa im Ersten Weltkrieg) scharf angegriffen. Das "Berliner Tageblatt" berichtete über die Versammlung des Volksvereins für das katholische Deutschland unter der Überschrift "Die deutschen Katholiken gegen Ludendorff".
Die erste Rede in der Versammlung hielt Reichskanzler Wilhelm Marx:

Hier, wo sich sämtliche politische Kämpfe abzuspielen pflegen, begrüße ich Sie heute als Vorsitzender des Volksvereins für das katholische Deutschland. Ich spreche nur in dieser Eigenschaft zu Ihnen. Vor einigen Monaten suchte mich hier zu einer Zeit, als keine Reichstagssitzungen waren, ein Professor aus Schlesien, der politisch nicht auf unserem Boden stand, auf, um mich als Vorsitzenden der Zentrumsfraktion zu sprechen und trug mir den Plan vor, eine außenpolitische Organisation mit aller Kraft zu schaffen, deren großes Ziel es sein müsse, alle Berufsstände und Volksklassen darüber aufzuklären, dass die Aufgaben, die sie gemeinsam verfolgen könnten, groß genug seien, um alles Trennende zurückzustellen, damit sie erreicht werden. Der Herr nannte unseren Volksverein nicht, und ich riet ihm, seine Zentrale in M.-Gladbach aufzusuchen, da er dort finden würde, was der katholische Volksverein auf dem Gebiete dessen, was ihm so sehr am Herzen lag, bereits erreicht hat.
Mit Stolz und Freude konnte ich dieses tun, denn das Werk des Volksvereins steht einzig da. Auch ihn hat die Schwere der Zeit nicht unberührt gelassen. Seine Mitgliederzahl, die vor dem Kriege 800.000 betrug, sank; aber sie hat jetzt schon wieder die halbe Million überschritten und er hat auch dank der aufopferungsvollen Führung der Geschäfte durch den Generaldirektor Dr. Hohn in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht die Not der Zeit überstanden. Wir müssen uns darüber freuen, denn wo jemals der Volksverein nicht für das katholische Volk, sondern für das gesamte deutsche Vaterland in einer Zeit notwendig war, dann ist das die gegenwärtige. Gerade jetzt muss er seine Bedeutung zur Geltung bringen und sorgen, dass in unserem armen gequälten, zu Boden geworfenen Volke, dessen Zukunft noch durchaus unsicher ist, die Entfremdung der Volksschichten untereinander aufhört.
Wenn der Verein auch auf konfessioneller Grundlage steht, seine Arbeit gilt doch dem gesamtem deutschen Vaterland. Infolge der zeitgeschichtlichen Entwicklung muss unsere Aufklärungsarbeit sich zunächst mit dem Verhältnis des Einzelnen zum Staate befassen. Bei dem früheren Obrigkeitsstaat hatte es Sinn, wenn der Einzelne an den Staat mit Forderungen herantrat, die er, wie gegenüber einem Fremden, mit Rechtsansprüchen begründete und unter Umständen zu erzwingen suchte. Heute haben wir die Demokratie. Das Volk selbst hat die Einrichtungen des Staates in erster Linie zu verantworten. Wir sind alle ein Teil des Staates, und wenn wir diesen als Gegner behandeln, dann bekämpfen wir uns schließlich selbst. In dem demokratischen Staat hat jeder die Pflicht, das Staatswesen möglichst gut und stark zu machen. Die Idee der Volksgemeinschaft, die der Volksverein pflegt, erhält ihren Antrieb von der christlichen Liebe zum Nächsten. Wir haben die Pflicht, dem Staate zu helfen, weil wir zu ihm gehören, und wir müssen es auch tun, wenn uns Staatseinrichtungen nicht gefallen. Wegen Unzufriedenheit den Dienst im Gemeinwohl verweigern, ist gewissenlos und widerspricht insbesondere den katholischen Grundsätzen. Als ich vor einigen Wochen in einem Brief an einen Studentenverein in Berlin diesen Gedanken aussprach, hat man in der Presse erklärt, der jetzige Staat hat keine Rechtsgrundlage und verpflichtet nicht zu Gehorsam.
Dass die Revolution ein schweres Unrecht war, kann gewiss niemand bestreiten. Aber das Unrecht ist beseitigt, nachdem durch die Verfassung eine Rechtsgrundlage wieder geschaffen worden ist. Kraft des Naturrechts, das jedes Volk hat, ist nach dem freiesten Wahlrecht der Welt die Nationalversammlung zusammengetreten und hat eine Verfassung geschaffen, die einen jeden im Gewissen verpflichtet, solange sie nicht auf gesetzmäßigen Wege geändert wird. Alle, die irgendwie versuchen und die Hand dazu bieten, diese Verfassung durch eine Gewalttat zu beseitigen, begehen Hochverrat und damit vom christlichen Standpunkt ein schweres Verbrechen. Vorkommnisse der letzten Zeit zeigen, dass selbst hochgestellte Personen, denen man Geist und Intelligenz nicht absprechen kann, auf diesem Gebiete Gedanken entwickeln, die geradezu unfassbar sind, und in derart verworrene Gedankengänge und Ideen geraten, dass sie die ganze Geschichte der Welt vergessen haben müssen und nur Meinungen vertreten, die absolut nicht beeinflusst sind durch irgendwelche staatsrechtlichen Kenntnisse. Ich will absichtlich nicht auf diese Dinge näher eingehen, aber doch diese Tatsache feststellen und immer wieder betonen: Vom christlichen, vom katholischen Standpunkt aus kann eine Verfassungsänderung nur auf dem in der Verfassung vorgesehenen Wege erfolgen, und eine Änderung wird erfolgen, wenn der Wille des Volkes ein anderer geworden ist. Solange der gesetzmäßige Weg nicht eingeschlagen wird, werden wir nicht an der Verfassung rütteln lassen und jeden als Hochverräter und Vaterlandsfeind ansehen, der die Verfassung gewaltsam zu ändern bestrebt ist.
Eine Pflicht ist es für jeden, nach der Höhe der Gaben, die Gott ihm verlieh, im Rahmen des Staatswesens - ob es ihm gefällt, ist gleichgültig - für das Volkswohl zu sorgen und zu arbeiten, ich sage das namentlich für die akademisch Gebildeten. Es gibt Leute, die sagen, sie fühlen sich angeekelt von dem Parteiengezänk und hielten sich deshalb von der Politik zurück. Sie beschäftigen sich lieber mit sich selbst und ihrem Seelenheil und glauben, damit auch als Katholik voll ihre Pflicht zu tun. Ich betone demgegenüber: Gott hat uns nicht allein die Pflicht auferlegt, für unsere Seele zu sorgen, sondern hat uns auch aufgetragen, unser Licht nicht unter einen Scheffel zu stellen, und mit dem Pfunde, das er uns gegeben, zu arbeiten, und er wird von uns Akademikern Rechenschaft fordern, ob wir unsere Gewissenspflicht erfüllt haben, an der wirtschaftlichen, politischen und geistigen Schulung und Hebung unseres Volkes so mitgearbeitet zu haben, wie wir es gekonnt hätten. Heraus mit den Gebildeten aus ihren Studierstuben und hinein in das öffentliche Leben! Man soll uns Katholiken nicht den Vorwurf machen können, dass unsere Gebildeten sich nicht am nationalen Leben beteiligt haben, weil ihnen die Staatsform nicht gefiel. Einen solchen Vorwurf könnten wir nicht ertragen und deshalb muss der Volksverein alle Kraft einsetzen, um unsere Gebildeten zur Mitarbeit im öffentlichen Leben zu bestimmen. Eine solche Arbeit, zumal unter Opfern, ist wahrhaft national, vielleicht nationaler jedenfalls als draußen zu stehen, Kritik zu üben und dann nicht zu sagen, was geschehen soll.
Nun gibt es auch im katholischen Lager, und zwar gerade bei der Jugend, manche, die eine Neugeburt Deutschlands von einer nationalen Begeisterung für die Wiederherstellung der deutschen Vorherrschaft erhoffen. Man kommt so zu völkischen Ideen, die in ihren Konsequenzen ungeheuer sind. Ich sage, wenn der völkische Kreis weitere Kreise des Volkes ergreifen sollte, so wäre das schlimmer als der verlorene Krieg, denn dann sind wir verloren für immer. Dieser Gedanke, der natürlich von den anderen Völkern ebenso stark betont würde, brächte uns den Krieg aller gegen alle und am Ende den wirtschaftlichen und politischen Untergang Europas. Es überlief mich ein Schaudern, als ich las, dass im Hitlerprozess das Wort fiel: Wir müssen Leute haben von fanatischem Hass. Die so sprechen, verstehen unsere Zeit nicht. Was wir brauchen, ist überwältigende Liebe zu unserem Volk und auch Liebe, soweit sie in Empfang genommen wird, zu den Angehörigen anderer Völker. Das ist christliche Auffassung und Pflicht. Sie wird und muss der Volksverein pflegen.
Weiter hat der Volksverein im Volk das Gefühl der Verantwortlichkeit für das, was geschieht, zu pflegen. Tun wir alles, um den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden? Der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer? Der Arbeiter gegenüber den zeitlichen Notwendigkeiten, der Beamte angesichts der Standesnotwendigkeiten, der Bauer im Hinblick auf die Volksernährung? Nach allen Richtungen hin muss der Volksverein aufklärend und anregend wirken. Trotz seiner schwierigen Finanzlage hat er zur Durchführung von Führerkursen ein kleines Landgut bei Paderborn erworben. Hier unterrichtet er in einer wirklichen Hochschule Arbeiter, Landbeamte, Studenten und leistet damit eine hochwertige vaterländische Arbeit. Auch ausländischen Studenten, die einen Einblick in diese Arbeit gewinnen wollen, wird er hier in Kürze die Möglichkeit dazu geben. Alle Arbeiten des Volksvereins beruhen auf der Grundlage der katholischen Glaubensüberzeugung. Aber sie geschieht für das ganze Volk. Wir werden uns darin in keiner Weise beeinträchtigen lassen, wenn engstirnige Leute, die in unsere Zeit nicht mehr hineinpassen, die konfessionellen Gegensätze aufrühren und gegen uns absolut unbegründete abscheuliche Vorwürfe erheben, weil sie nicht einsehen, dass die katholische Kirche nicht von der Staatsform und ihrer Umwälzung und nicht vom Kriegsausgang irgendwo abhängt, sondern dass sie auf dem Felsen Petri ruht und dass sie, umbraust von den Stürmen der Welt, ewig dastehen wird bis ans Ende der Zeit.
Wir werden die Vorwürfe nicht vergelten mit ähnlichen Schimpfworten und Schmähurteilen, sondern durch die Tat zeigen, dass wir als Katholiken arbeiten wollen für die ganze Welt und in erster Linie für unser armes, geplagtes deutsches Volk. Als Katholiken wollen wir voranleuchten allen deutschen Brüdern in der Arbeit für die Allgemeinheit, in der Hoffnung, dass der Herrgott seine Gnade dazu gebe, dass wir endlich wieder das deutsche Volk hinaufgeführt sehen zu jener Höhe, die es kraft seiner ganzen Veranlagung und seiner Geisteskräfte und kraft göttlicher Bestimmung einst eingenommen hat und, soweit Gott will, wieder einnehmen wird. Dafür wollen wir arbeiten im Volksverein für das katholische Deutschland.

Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns beschäftigte sich in folgenden Sätzen mit der Rede Ludendorffs:
General Ludendorff hat sich zum Apostel der völkischen Bewegung gemacht und das Zentrum heftig angegriffen und ihm vorgeworfen, dass die Zerstörung des Deutschen Reiches mit dem evangelischen Kaiser sein Ziel gewesen wäre. Das ist der Typ echt preußischen Nichtverstehens alles Katholischen, wie wir es leider Gottes in breiten evangelischen Kreisen wahrnehmen und wie es von gewissen Leuten gezüchtet worden ist und wird. [...] Dass Ludendorff sich auch für ein evangelisches Kaisertum ins Zeug legt, ist kein gutes Zeichen für seine Objektivität. Man sollte meinen, gerade er müsste dafür Verständnis haben, dass das Kaisertum über den Konfessionen stehen sollte. Er hat dann auch auf Erzberger hingewiesen. Aber es ist nicht die Zentrumspartei, auch nicht der Abgeordnete Erzberger gewesen, der in den kritischen Tagen sich gegen die Monarchie in Deutschland und für die Entfernung des Kaisers aus Deutschland ausgesprochen haben. Wohl aber ist in jener Zeit von der Zentrumsfraktion einmütig mit allem Nachdruck das Festhalten an der Monarchie vertreten worden und zu denen, die dabei durchaus nicht nur dem Hohenzollernhause, sondern auch der Person des Kaisers die Treue bewahren wollten, hat der Abgeordnete Erzberger gehört. Alle, die diesen Verhandlungen beigewohnt haben, werden mir das bestätigen. Die Verhandlungen waren geheim; aber wie heute die Dinge liegen, erscheint es notwendig, die Tatsachen vor aller Öffentlichkeit festzustellen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)