Zum Attentat auf Charlie Kirk
Charlie Kirk erzielte auf seinen digitalen Plattformen Milliarden von Videoaufrufen und zählte zu den einflussreichsten Personen der USA. Er spielte eine zentrale Rolle beim zweiten Wahlsieg von Donald Trump. Charakterisch für seine öffentliche Wirkung war die Verbindung von nationalistischer Politik mit christlicher Religion. Nach seiner Ermordung habe ich gezielt nach kritischen Analysen aus US-amerikanischen theologischen oder religionssoziologischen Instituten gesucht – vergeblich. Sollte die akademische Theologie in den USA Charlie Kirk bislang ignoriert haben, wäre das ein gravierendes Versäumnis. Womit hat sich die US-amerikanische Theologie in den letzten Jahren schwerpunktmäßig beschäftigt? Ich weiß es nicht, aber ich befürchte, dass sie sich allzu sehr in Nischenthemen verloren hat, die kaum öffentliche Relevanz haben. Auch in der deutschsprachigen Theologie entsteht oft der Eindruck, dass große Teile den Anschluss an das digitale Zeitalter und die kulturelle Dominanz des Internets noch nicht gefunden haben. Welche deutsche Theologieprofessorin kennt beispielsweise den YouTuber und AfD-Unterstützer Leonard Jäger, der ebenfalls eine Mischung aus Politik und Religion anbietet und mehr Abonnenten hat als die FAZ oder die SZ? Warum findet man im Index Theologicus keine einzige kritische Auseinandersetzung mit Peter Hahne, der einst EKD-Ratsmitglied war und heute als eine der lautesten "AfD-Vorfeld-Propaganda-Stimmen" (Martin Fritz) über digitale Kanäle eine Hörerschaft von Hunderttausenden erreicht? Welche Zielgruppe hat man als Theologieprofessor eigentlich vor Augen, wenn man etwa für "Publik-Forum" einen Artikel über Homosexualität im Alten Testament schreibt, der im Internet hinter einer Paywall verschwindet und den vor allem ein zunehmend älteres Publikum liest, das von der zentralen These des Artikels vermutlich längst überzeugt ist? Wäre es nicht sinnvoller, solche Inhalte als TikTok-, YouTube- oder Youtube Shorts-Video zu veröffentlichen – oder zumindest TikTok oder YouTube zu nutzen, um auf frei zugängliche Inhalte weiterzuleiten? So könnten auch meine Schülerinnen und Schüler darauf stoßen. Sie werden von Theologie und Kirche oft allein gelassen, wenn sie im digitalen Raum mit christlich-fundamentalistischen Positionen konfrontiert werden – oder mit Videos, wie sie Charlie Kirk millionenfach verbreitet hat.