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Der neue Roman von Daniela Krien: "Der Brand"

In der Bibel las sie früher wie in einem Märchenbuch – interessiert, aber mit dem sicheren Wissen, dass alles erfunden sei. Ihr einziges religiöses Erlebnis hatte sie vor ein paar Jahren, während einer USA-Reise, beim Besuch des Gottesdienstes einer Freikirche. Schon in den Fluren vor dem Saal hörte sie von den Hereinströmenden, die fast alle schwarz waren, immer wieder God is good!, und die Antwort darauf lautete stets All the time! Während der Predigt standen die Menschen nach jedem Satz auf, der ihnen gefiel, und riefen Amen! und Hallelujah!, und sie hoben die Hände und tanzten. Und dann der Gesang. Rahel liefen die Tränen übers Gesicht. Peter machte sich darüber lustig und bezeichnete das Ganze als perfekte Show, als hübschen Budenzauber. Aber etwas daran war echt und hat Rahel einen Mangel in ihr selbst gezeigt, der sie auf der ganzen Weiterreise verfolgte.

Praktisch täglich empörte Professor Wunderlich sich darüber, wie viele Studenten auf Kriegsfuß mit Orthographie und Grammatik standen, wie wenig belesen und historisch ahnungslos sie seien. "Das ist nicht mehr meine Welt", stellte er fest.

Die beste aller Welten ist ein Spiel für Phantasten.

Um sein Verhältnis zum Tod beneidet sie ihn. Obwohl er an nichts Tröstliches glaubt – kein Jenseits, keine Erlösung, keine Wiedergeburt –, scheint er keine Angst zu haben. Die Verzweiflung, die Rahel beim Denken an das Ende erfasst, kennt er nicht. Nicht das Entsetzen bei der Vorstellung, dass dieses kurze, kleine Leben alles sein soll. Dass es danach keine Wiederkehr gibt, kein Empfinden mehr, nur das große Nichts – Schon der leiseste Gedanke daran beschleunigt Rahels Puls. Doch nicht das Sterben selbst erschreckt sie, sondern all das Nichtgetane, Nichtgefühlte, Nichtgewagte.

Peter sitzt draußen im Hof, vollkommen vertieft in die Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers.
"Viktor hat hier etwas reingeschrieben", sagt er.
"Ach ja? Was denn?"
"Ich wünschte, ich könnte glauben."
"Das wünschte ich auch", entgegnet Rahel seufzend. "Und ich weiß, was du jetzt denkst."
Als die Kinder noch klein waren, hat Rahel aus einer plötzlichen Furcht heraus die Taufe erwogen. "In diesen Verein treten unsere Kinder nicht ein", entschied Peter kategorisch. Es kam nicht oft vor, dass er ihr ein derart unnachgiebiges Nein! entgegenstellte, doch wenn er es tat, dann hatte Rahel keine Chance. Zumal sie keinen vernünftigen Grund hatte, außer der Tatsache, dass die Taufe sie beruhigen würde.
Sein Nein ärgerte und erleichterte sie gleichermaßen. Wie hätte sie den Kindern eine alltägliche Religiosität vermitteln sollen? Sie waren Gottlose in dritter Generation.
"Na? Ist es mal wieder so weit?", fragt Peter spöttisch.
Sie lacht und zuckt hilflos die Schultern. "Der Glaube ist eine Kraftquelle, die mir nicht zur Verfügung steht."
"Finde eine andere", erwidert er ungerührt.

Eine der großen Fehlannahmen unserer Zeit: Dass jeder Mensch bestimmen könne, wer er sei. Jeder Mensch ein kleiner Gott. Als gäbe es nichts Gesetztes. Als gäbe es kein Vorher.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)