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Das neue Buch von Pascale Hugues:
"Mädchenschule. Porträt einer Frauengeneration"

Vorstellung des Buches auf der Webseite des Verlags

Mit Ausnahme von Giacomina geht von uns niemand mehr sonntags in die Messe. Die Kirche wird nur noch bei Beerdigungen besucht, vor dem Friedhof und dem Traueressen. Die Erstkommunikantinnen von damals suchen die Spiritualität woanders. Jeannine fühlt sich zum Buddhismus hingezogen. "Diese Gelassenheit, die die Mönche ausstrahlen, diese Toleranz, die sie unter Beweis stellen, auch wenn man natürlich nicht mit einem Fingerschnippen zum Buddhisten wird." Das spricht sie viel mehr an als "die Katholiken mit ihrer falschen Moral und ihrem Vatikan, der nicht weiß, wohin mit dem ganzen Gold, während so viele Menschen vor Hunger sterben". Auch Anne-Marie zieht die Gurus den Priestern vor, "die Unsinn daherreden". Abends allein in ihrem Schlafzimmer, atmet sie im Schneidersitz tief ein, während sie sich von den Lehren Sadhgurus auf YouTube einwiegen lässt, ihres mystischen Meisters. Er hilft ihr, sich zufrieden zu fühlen, lebendig, ohne irgendetwas oder irgendjemanden zu brauchen. Er lehrt sie, dass die Erde in der Unermesslichkeit des Kosmos nicht größer ist als eine Erbse und dass auch wir nicht viel sind, und das beruhigt sie. Wir sind Zeugen solcher Umwälzungen. Es gibt allen Grund, sich ein wenig verloren zu fühlen. Gut, dass Anne-Maries Guru eine Antwort auf alles hat, "er bringt mit wenigen Worten die Dinge wieder ins Lot, und man wird ruhig". [...] Wir holen uns unsere Weisheiten von überallher, aus dem Internet, aus kleinen Büchlein mit Sprüchen und Aphorismen, die unseren Poesiealben seltsam ähnlich sehen. [...] Wir sind alle dabei, uns Weisheiten auf den Leib zu schneidern, um uns selbst davon zu überzeugen, dass wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben, [...] ... Esoterischer Kitt, um die Risse zu füllen, die im Laufe der Zeit immer deutlicher sichtbar wurden.

Wir verwünschen gemeinsam Schwester Bernadette. Sie gab uns Katechismusunterricht. Wenn sie zur Tür hereintrat, sprang die ganze Klasse auf. Sie befahl, wir sollten uns neben dem Pult hinsetzen, die Knie aneinandergedrückt. Und dann begann die Gymnastik: Arme hoch, tief einatmen. Schwester Bernadette ging mit einem Holzlineal durch die Bankreihen. Wie eine Ballettmeisterin korrigierte sie die Haltung, klopfte auf einen gekrümmten Rücken, stach in eine schlaffe Seite, richtete ein Kinn auf: "Aufgepasst, der liebe Gott ist wie ich, er sieht alles!", warnte Schwester Bernadette. Sie jagte mir einen Schrecken ein. Francoise hat es in meinem Poesiealbum auf den Punkt gebracht: "Auch wenn Dich niemand sieht, so sieht Dich doch der liebe Gott."

Für Roseline wäre es eine Tragödie gewesen, vor der Ehe schwanger zu werden. Mit ihrer erzkatholischen Mutter und der Messe jeden Sonntag war an einen "Fehltritt" nicht zu denken. Eine Cousine aus Limoges ist mit einem Jungen durchgebrannt, ohne verheiratet zu sein. Das war 1968. Sie war achtzehn. Roselines Mutter, die ihre Patentante war, schrieb ihr einen Brief, es sei eine "Schande", nicht "warten" zu können, sich nicht für ihren Mann "aufzusparen" und "in der Sünde" zu leben. Martine erinnert sich, wie die Nonnen die Mädchen in die Seite piksten, wenn sie es in der Kirche wagten, ihren Blick in Richtung Jungenbank zu richten. Darum wurde sie, als sie das erste Mal einen Jungen küsste, von Schuldgefühlen gepackt.

Martine ist stolz, dass sie der Kommunion "entwischt" ist. Sie lebte ein Jahr lang in Dijon bei einer Freundin ihrer Mutter, die sie aufgenommen hatte, um die Familie ein wenig zu entlasten. Und dort sagte Martine "nein". Keine Kommunion! "Alles war so kodifiziert, das war ungesund. Ich musste selbst denken. All diese Frauen, die ihr Glück in Jesus fanden und die von ihm sprachen, als wäre er ihr Geliebter. Was für eine Naivität, wirklich. Und doch sehen in den Pflegeheimen diejenigen, die den Glauben haben, so glücklich aus."


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)