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Der neue Roman von Cormac McCarthy: Der Passagier

Er hatte sie gefragt, ob sie an ein Leben nach dem Tod glaube, und sie hatte geantwortet, sie schließe so etwas nicht aus. Es könne sein. Sie bezweifle lediglich, dass es das für sie geben könne. Wenn es einen Himmel gebe, beruhe er dann nicht auf den sich windenden Leibern der Verdammten? Als Letztes hatte sie gesagt, Gott sei nicht an unserer Theologie, sondern nur an unserem Schweigen gelegen.

"Inzwischen hatte ich zu trinken angefangen, und das hätte mich beinahe erledigt. Ich war eine geborene Alkoholikerin. Zum Glück habe ich jemanden kennengelernt. Ein Riesenglück. Er hat mich zu den Anonymen Alkoholikern gebracht. Mit dem Gott-Dings hatte ich Probleme. Das geht vielen Leuten so. Und dann bin ich mal mitten in der Nacht aufgewacht, habe dagelegen und gedacht: Wenn es keine höhere Macht gibt, dann bin ich das. Und das hat mir einen Heidenschiss eingejagt. Es gibt keinen Gott, und ich bin sie. Also habe ich daran ernsthaft zu arbeiten begonnen. Ich arbeite immer noch daran. Vielleicht soll es ja auch so sein. Aber ich habe gewisse Fortschritte gemacht. Ich war wütend auf ihn, weil er mich so verkorkst hat, aber vielleicht ist er ja nicht so vollkommen, wie die Leute glauben. Er hat eine Menge um die Ohren, und er muss alles allein machen. Hat keine Hilfe." – "Glaubst du an Gott?" – "Die Wahrheit?" – "Klar." – "Ich weiß nicht, wer oder was Gott ist. Aber ich glaube nicht, dass der ganze Kram von allein hierhergekommen ist. Vielleicht entsteht alles durch Evolution, wie es heißt. Aber wenn man es bis zu seinem Ursprung auslotet, muss man letzten Endes auf eine Intention stoßen." – "Bis zu seinem Ursprung auslotet?" – "Gefällt dir das? Pascal. Ungefähr ein Jahr später, wieder beim Aufwachen, war es, als hätte ich im Schlaf eine Stimme gehört, und ich konnte immer noch ihren Nachhall hören, und sie hat gesagt: Wenn dich nicht irgendetwas lieben würde, gäbe es dich nicht. Und ich habe geantwortet, okay. Das ist es. Schlicht und einfach."

"Glauben Sie überhaupt an irgendetwas?" – Joäo schürzte die Lippen. "Tja. Natürlich glaubt man an irgendetwas. Aber ich glaube nicht an Gespenster. Ich glaube an die Wirklichkeit der Welt. Je härter und schärfer die Kanten, desto mehr glaubt man. Die Welt ist hier. Sie ist nicht irgendwo anders. Ich glaube nicht ans Herumreisen. Ich glaube, dass die Toten in der Erde liegen. Ich war wohl mal wie der alte Pau. Ich habe darauf gewartet, von Gott zu hören, aber er hat sich nie gemeldet. Dennoch ist Pau ein Gläubiger geblieben, und ich nicht. Er hat immer den Kopf über mich geschüttelt. Er hat gesagt, ein gottloses Leben bereite einen nicht auf einen gottlosen Tod vor. Darauf habe ich keine Antwort."

"Sie sehen keinen Widerspruch zwischen dem, was Sie über die Welt wissen, und dem, was Sie über Gott glauben?" – "Ich glaube nichts über Gott. Ich glaube bloß an Gott. Kant hatte recht mit dem bestirnten Himmel über mir und dem moralischen Gesetz in mir. Das letzte Licht, das der Nichtgläubige sehen wird, ist nicht das Erlöschen der Sonne. Sondern das Erlöschen Gottes. Jeder wird mit der Fähigkeit geboren, das Wunderbare zu sehen. Man muss sich bewusst dafür entscheiden, es nicht zu sehen. Sie glauben, seine Geduld ist unendlich? Ich glaube, er ist damit so ziemlich am Ende. Ich glaube, wir werden es aller Wahrscheinlichkeit nach noch erleben, dass er sich den Daumen anleckt, sich vorbeugt und die Sonne rausschraubt."


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)