"Müssen wir erst Griechen werden, ehe wir Christen werden können?"

Interview mit Otto Hermann Pesch anlässlich des Erscheinens seiner "Katholischen Dogmatik"


MFThK: Herr Professor Pesch, gerade ist der erste Band Ihrer "Katholischen Dogmatik. Aus ökumenischer Erfahrung" (in zwei Teilbänden) erschienen. Was macht die Katholizität Ihrer Dogmatik aus? Inwiefern ist Ihre Dogmatik "katholisch"?

Pesch: Die Dogmatik ist "katholisch", weil sie - in ausgewählten großen Gestalten - die ganze kirchliche Lehrtradition in die Argumentation einbezieht und von da aus die Antwort des Glaubens auf die heutigen Fragen nach dem Glauben zu geben versucht. Sie ist sogar in präzisem Sinn "römisch-katholisch", insofern sie aus dem Lebenszusammenhang der römisch-katholischen Kirche geschrieben ist, also für Menschen, die in diesem Lebenszusammenhang stehen oder ihn kennen lernen wollen. Dies Letztere wird natürlich in dem abschließenden zweiten Band noch deutlicher werden, der u.a. die Lehre von der Kirche und von den Sakramenten behandeln wird. Das Ganze freilich "aus ökumenischer Erfahrung", in ökumenischer Offenheit: Ich möchte die Anfragen aus der reformatorischen Tradition und aus der gegenwärtigen evangelischen Theologie ganz ernst nehmen und für die "katholische" Dogmatik fruchtbar machen.

MFThK: Für wen haben Sie Ihre "Dogmatik" geschrieben? Welchen Leser bzw. Leserin hatten Sie beim Schreiben vor Augen?

Pesch: Zunächst Studierende der Theologie! Denn das Buch ist ja aus der Arbeit von mehreren Jahrzehnten als Lehrer der Systematischen Theologie heraus gewachsen, davon 25 Jahre als katholischer Theologe an einer evangelischen Fakultät. Aber ich hatte den Ehrgeiz, ein Dogmatik-Buch zu schreiben, das auch des Nachdenkens fähige, aber theologisch nicht vorinformierte "Laien" verstehen können - und das sind ja die Studierenden der Theologie am Anfang auch. Daher das dreifache Druckbild: der Haupttext, den alle verstehen können (sollen), wenn man alles andere übergeht; in einer "strengeren" Drucktype das "Studentenfutter", der Lernstoff für die Studierenden (auch zur Vorbereitung auf das Examen!); im Kleindruck dann "Fachsimpeleien" zu besonderen Problemen; Fußnoten weitestgehend nur als Belege, also keine "Parallelaufsätze" und Exkurse. Alles aber nicht in dem sprichwörtlichen schrecklichen "Professorendeutsch", womit sich leider manche Theologen, auch jüngere, die Aufnahme - pardon: die "Rezeption" - ihrer guten und wichtigen Gedanken ganz unnötig erschweren, zumal bei ausländischen Leserinnen und Lesern. Muss denn nicht die Liebenswürdigkeit Gottes im Evangelium auch in einer liebenswürdigen, wenn es sein muss: sogar fröhlich-humorvollen Sprache ihr Echo finden?

MFThK: Wie würden Sie selbst Ihren dogmatischen Ansatz charakterisieren? Was war Ihnen bei der Abfassung der "Dogmatik" besonders wichtig?

Pesch: Ich nenne es gern "Dogmatik in fundamentaltheologischer Zuspitzung". Das heißt: Ich setze nicht "steil von oben" an, wie es der Name "Dogmatik" als "Lehre von der kirchlichen Lehre" im Licht von Bibel und Tradition nahe legen könnte. Statt dessen setze ich bei den Fragen heutiger Menschen an: bei ihren oft unsicheren, tastenden Fragen, was es um Jesus und um den christlichen Glauben an Gott sei. Von da aus versuche ich zunächst mitzudenken mit den Menschen der Bibel, den Menschen um Jesus, sodann mit den Menschen in der Geschichte des christlichen Glaubens, die mit ihren immer neuen Fragen den Glauben durchzudenken hatten. Im Gespräch mit diesen Menschen möchte ich den Wahrheitsanspruch der alten Botschaft, die in uns vielleicht fremd gewordenen Worten und Gedanken aus der Geschichte auf uns zukommt, in heute verständlichen und treffenden Worten als nach wie vor "plausibel" erweisen, das heißt: als Einladung in den Glauben, der nie in Denkzwang zu verwandeln ist, sondern eine freie Tat des Herzens und des Verstandes bleibt.

Buchcover

MFThK: Nach über zehn Jahren erscheint wieder eine Dogmatik aus einer Hand. 1995 legte Gerhard Ludwig Müller seine "Katholische Dogmatik" vor. Wagen Sie mal einen Vergleich: Was unterscheidet Ihre Dogmatik von der Dogmatik Müllers? Oder anders gefragt: Warum lohnt sich für mich die Anschaffung der Dogmatik von Pesch, wenn die Dogmatik von Müller bereits bei mir im Regal steht?

Pesch: Ich schätze die Dogmatik von Gerhard Ludwig Müller sehr. Sie geht nach einem originellen, durchaus unkonventionellen Aufbauprinzip vor, ist didaktisch geschickt gestaltet und zudem in einer gut lesbaren, ja liebenswürdigen Sprache formuliert - kein "Professorendeutsch"! Das bleibt gültig, auch wenn man - wie immer unter Kollegen! - in Einzelheiten schon einmal anders urteilt. Ansonsten aber ist Müllers Werk eine Dogmatik des angedeuteten "klassischen" Typs. Das hat sein volles Recht. Nur: Ich mache es anders - aus den skizzierten Gründen und hoffentlich ohne Verzicht auf Präzision. Was tun, wenn man Müller schon im Regal hat? Vielleicht lohnt es sich, einmal Thema für Thema bei Müller zu lesen und dann jeweils bei Pesch. Am schönsten wäre es, wenn sich dann ein Eindruck einstellte in Abwandlung von Jesu Wort: "Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen." In diesem Sinne wünsche ich mir ganz unbescheiden viele Studierende der Theologie, die mein Buch als Weihnachtsgeschenk begehren.

MFThK: Vor dem II. Vatikanum war eine katholische Dogmatik ohne Orientierung an Thomas von Aquin nahezu undenkbar. Welche Bedeutung hat der Aquinate für Ihr dogmatisches Denken? Muss ein Dogmatiker heute noch Thomas lesen?

Pesch: Thomas ist nach dem II. Vatikanum nicht mehr der absolut normative Theologe, auf den seit Papst Leo XIII. und dem Codex Iuris Canonici von 1917 alle Theologen und Theologie Studierenden verpflichtet waren - ein Anspruch, über den Thomas selbst nur den Kopf geschüttelt hätte. Aber mit seinem unerbittlichen Mut, die philosophischen und theologischen Fragen seiner Zeit aufzunehmen und der Vernunft im theologischen Nachdenken ihren unverzichtbaren Platz zu sichern, ist er gerade nach den Worten des Konzils nach wie vor das große Vorbild. Dies nicht zuletzt durch die Selbstvergessenheit seines Denkens. Die Frage Luthers nach der Gerechtigkeit des Menschen vor Gott, nach dem eigenen Stehen vor Gott im Angesicht des kommenden Richters war gewiss nicht nur seine persönliche "subjektivistische" Marotte, wie oft unterstellt wird, sondern nachweisbar die Frage seiner ganzen Zeit. Dagegen ist Thomas das große Beispiel einer Theologie, die gerade nicht um die Frage des persönlichen Heils kreist, sondern nichts anderes will, als bis an die äußersten Grenzen des Verstehens Gottes Werke in Schöpfung und Heilsgeschichte zu preisen, ihm sozusagen den Gottesdienst des Denkens darzubringen. Die Kirche braucht beide "Typen" von Theologie.
Die bleibende Bedeutung des Thomas besteht in der endgültigen Überwindung eines platonischen welt- und leibfeindlichen Dualismus durch einen konsequent ernst genommenen Schöpfungsglauben. Muss man ihn lesen? Nicht jeder katholische Theologe muss zum Thomas-Experten werden. Aber von Fall zu Fall sollte man ihn auch einmal selbst lesen - wenn nötig mit Hilfe der Deutschen Thomas-Ausgabe der Summa Theologiae und anderer zweisprachiger Ausgaben seiner Hauptwerke. In meinem Buch "Thomas von Aquin. Grenze und Größe mittelalterlicher Theologie" (3. Auflage Mainz 1995) habe ich am Schluss Lesevorschläge gemacht.

MFThK: Durch das Jesusbuch des Papstes ist die historisch-kritische Exegese wieder in die Diskussion geraten. Welche Rolle spielt die historisch-kritische Exegese in Ihrer Dogmatik?

Pesch: Rund heraus gesagt: Mir ist die historisch-kritische Exegese zur Quelle einer ganz neuen Freude an der Bibel geworden. Die Bibel ist mir nicht mehr, wie in früheren Zeiten, ein Arsenal von beweiskräftigen Zitaten, sondern das Dokument, in dem mir Menschen der ersten Christengenerationen begegnen, die mit ihrem Kopf und Herzen den Glauben an Jesus Christus erstmals und dadurch normativ durchdenken und ausdrücken, wie wir das heute auf ihr Zeugnis hin auch tun müssen. Natürlich ist die historisch-kritische Exegese nicht der einzige Zugang zur Bibel - es gibt die anderen Zugänge in Liturgie und Meditation. Auch hat sie, wie alles menschliche Denken, ihre Grenzen. Scheinbar sichere Ergebnisse können wieder den Bach herunter gehen. Ja, die Methode als solche ist noch gar kein theologischer Beitrag im eigentlichen Sinne. Aber sie ist, in ihren Grenzen, ein unentbehrliches Instrument, herauszufinden, was der betreffende biblische Autor sagen wollte und was nicht. Wenn nun heute Menschen nach Jesus fragen und dabei zunächst das kirchliche Dogma nicht als Antwort erfahren, dann hilft nichts, als "an die Anfänge des Verstehens" (Dietrich Bonhoeffer) zu gehen und mit den Menschen der Bibel schlicht zu fragen: "Wer ist doch dieser?" Die Antwort kann zunächst nur die historisch-kritische Exegese geben - mit allem Risiko und in allen Grenzen. Die Aufgabe des Theologen ist dann, zu zeigen, wie die Antwort der Bibel im Zusammenhang neuer Fragen zum kirchlichen Bekenntnis geführt hat - und wie dieses Bekenntnis in Zusammenhang wiederum neuer Fragen ohne Verlust in der Sache in neue Worte zu übersetzen ist. Dies immer unter der Kontrolle am biblischen Zeugnis. Aber es kann kein Christusbekenntnis gegen das sichere biblisch-historische Bild von Jesus geben.

MFThK: Ihre Dogmatik ist auch als Lehrbuch konzipiert. Wer war Ihr bedeutendster Dogmatik-Lehrer? Von welchen Dogmatikern haben Sie am meisten gelernt?

Pesch: Zunächst muss ich meine Lehrer an der damals in voller Blüte stehenden Theologischen Hochschule der Dominikaner in Walberberg nennen, unter ihnen vor allem Mannes Dominikus Koster - zu wenig bekannt als einer der Väter des Gedankens von der Kirche als "Volk Gottes", der auf dem II. Vatikanum seine großartige Bestätigung fand - und Adolf Hoffmann, der bedeutende Thomasforscher. Bei ihnen habe ich einen offenen Thomismus gelernt, der gerade nicht als "Bollwerk" gegen die Fragen der Moderne in Stellung gebracht werden konnte. In meinen Münchener Studienjahren traten mein Doktorvater Heinrich Fries und der große Dogmatiker und Mittelalterforscher Michael Schmaus hinzu. Geheimtipp für uns Studenten der 50er Jahre war damals schon Karl Rahner, den ich allerdings erst spät persönlich kennen lernen durfte, als er längst zum "Kirchenvater" der nachkonziliaren katholischen Theologie geworden war. Hinzu kamen aber bald durch meine Arbeit an Luther die großen evangelischen Dogmatiker, vor allem Paul Althaus (+ 1966) und Gerhard Ebeling (+ 2001), von den Generationsgenossen Wolfhart Pannenberg. Dass ich von den Arbeiten von Hans Küng viel gelernt habe muss und will ich hier auf keinen Fall geheim halten. Aber ebenso viel bedeutet mir die wissenschaftliche und persönliche Freundschaft mit Max Seckler (Tübingen, emeritiert 1995).

MFThK: Stellen Sie sich vor, Sie dürften für ein theologisches Internetportal Papst Benedikt XVI. interviewen. Was wäre Ihre erste Frage?

Pesch: Meine erste Frage an den Theologen Joseph Ratzinger wäre: Müssen wir erst Griechen werden, ehe wir Christen werden können? Ratzinger hält seit jeher die Zusammenführung von biblischem Zeugnis und griechischer Vernunft im altkirchlichen Christusbekenntnis für von nun an untrennbar mit dem Wesen des Christentums verbunden und wehrt sich gerade in jüngster Zeit vehement gegen Tendenzen einer "Enthellenisierung" des Christusbekenntnisses. Und was machen da die armen Leute in Afrika, in Asien, auch in Lateinamerika, die nie mit dem griechischen Geist in Kontakt gekommen sind?
Meine erste Frage an den Papst Benedikt XVI. wäre: Wie lange wollen Sie die Ausdörrung unserer Gemeinden noch treiben lassen, indem Sie sich weigern, die Zulassungsbedingungen zum kirchlichen Amt zu ändern? Nach jüngsten Erhebungen sind von den in Deutschland tätigen Pastoralassistenten ca. 1200 verhinderte Priesterberufe - zumeist wegen des Zölibats. Nimmt man die aus dem selben Grund aus dem Amt geschiedenen Priester hinzu, die aber bereit wären, morgen wieder an den Altar zu treten, so könnten wir schätzungsweise auf einen Schlag ca. 3000 Priester mehr haben. Soll die schon sogenannte "Protestantisierung" unserer Gemeinden mit "Wort-Gottes-Feiern" statt Eucharistie am Sonntag so weiter gehen, die man doch sonst durch die Betonung der Unersetzlichkeit des Priesteramtes verhindern will? Ist die Kirche bereit, auf die Sakramente zu verzichten?

MFThK: Stellen Sie sich vor, Sie könnten in der Katholischen Akademie München einmal mit Jürgen Habermas disputieren. Worüber würden Sie mit ihm reden wollen?

Pesch: Ich bin nicht hinreichend vertraut mit dem Denken von Jürgen Habermas - man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen! Aber soweit ich ihn verstanden habe, würde ich gern über zwei Punkte mit ihm diskutieren: die Bedingungen und Voraussetzungen des "herrschaftsfreien Diskurses" und über die Frage, ob seine neuerliche Wertschätzung der Religion auf eine Instrumentalisierung zu gesellschaftsreformerischen Zwecken hinausläuft, womit sich der Glaube nie zufrieden geben kann. Gott selbst ist nicht instrumentalisierbar.

MFThK: Welchen Philosophen der Neuzeit schätzen Sie am meisten und welchen Philosophen der Neuzeit verachten Sie am meisten?

Pesch: Ich antworte mit dem schönen Wort des Thomas von Aquin in seinem Kommentar zur Metaphysik des Aristoteles: "Wir müssen sie alle lieben, diejenigen, deren Meinung wir annehmen und diejenigen, deren Meinung wir ablehnen. Denn alle haben sich um die Erforschung der Wahrheit bemüht und uns dadurch geholfen. Aber muss derjenigen Meinung sich anschließen, die mit größerer Gewissheit die Wahrheit getroffen hat. "
Ich "verachte" keinen Philosophen, behalte mir aber vor, zu widersprechen, wenn gegen eine Karikatur des religiösen Glaubens geschossen wird und/oder die Grenzen der jeweils eigenen Methoden nicht gesehen werden.

O.H.Pesch

MFThK: Vor hundert Jahren erschütterte der Modernismusstreit die katholische Theologie. Ihr Kollege Peter Neuner fordert, endlich anzuerkennen, dass viele Aussagen des II. Vatikanums im Sinn der Antimodernismusenzyklika "Pascendi" eindeutig modernistisch sind. Provokativ gefragt: Wie "modernistisch" ist die katholische Theologie heute?

Pesch: Ich unterschreibe voll und ganz die Forderung meines Kollegen Peter Neuner. "Modernismus" war damals ein "Sammel-Schimpfwort" der Gegner, das eine ganze Reihe durchaus unterschiedlicher Neuaufbrüche in der katholischen Theologie in einen Topf warf. Der "Anti-Modernismus", der nicht nur die damaligen Antworten, sondern schon die Fragen der "Modernisten" einfach nicht zuließ, hat die katholische Theologie für ein halbes Jahrhundert wie ein Wundstarrkrampf befallen. Hier wären wirklich einige Rehabilitationen fällig. Kein Geringerer als Papst Pius XII. hat aber schon viel von diesem Wundstarrkrampf lösen können, vor allem durch seine Enzyklika "Divino afflante Spiritu" über die Interpretation der Bibel und die vorsichtige Anerkennung der historisch-kritischen Exegese. Trotzdem hat es um die Anfragen aus dem "Modernismus" auf dem Konzil noch harte Auseinandersetzungen gegeben, und gewisse Tendenzen in der Kirche von heute könnten sogar die Furcht vor einem neuen "Anti-Modernismus" wecken.

MFThK: Gestatten Sie bitte mal einen Einblick in Ihre theologische Werkstatt. Wie muss man sich Otto Hermann Pesch bei der Abfassung seiner Dogmatik vorstellen? Zu welchen Zeiten und unter welchen Bedingungen können Sie am konzentriertesten arbeiten? Was darf dabei auf keinen Fall auf Ihrem Schreibtisch fehlen? Welche Geräusche finden Sie beim Lesen und Schreiben unerträglich? Und ferner: Hatten Sie bei einem Thema Ihrer Dogmatik auch mal Schreibhemmungen?

Pesch: Ich bin keine Lerche, sondern eine Eule. Vormittags kann ich nur Kleinkram und Mechanisches erledigen, zum Beispiel Fußnoten ausarbeiten oder fertige Manuskriptstücke noch einmal korrigieren. Meine "kreative" Zeit ist zwischen 15 und 20 Uhr, gegebenenfalls - nach einem guten Krimi im Fernsehen - noch einmal zwischen 21 und 23 oder einmal 00 Uhr. Auf dem Schreibtisch liegen dann die genauen Notizen mit der festgelegten Gliederung und Untergliederung und den Details des zu Schreibenden. Rechts im Regal die Auswahl-Ausgaben der Werke Luthers und des Thomas. In der Nähe greifbar die Bücher, die ich gerade aktuell benutze und konsultiere. Unerträglich ist für mich nicht viel. Bohren und Klopfen im Haus bei Umzügen (häufig!) ist lästig, aber nicht zu ändern. Auf keinen Fall kann ich beim Schreiben Musik hören - da muss ich zuhören.
Schreibhemmungen? Nicht mehr beim Schreiben, wohl aber - oft tagelang - beim Konzipieren und bei der Festlegung des Aufbaus und der Details. Um einer irrigen Vorstellung angesichts meiner nicht gerade wenigen Publikationen vorzubeugen: Ich bin kein "Workaholic". Ich sitze nicht von morgens um 7 bis abends um 11 am Computer. Ich gehe mit dem "Stoff" oft lange um - gegebenenfalls bis abends ins Bett. Aber wenn ich anfange zu schreiben, geht es vergleichsweise schnell, weil ich so gut wie nie einen Satz hinschreibe, von dem ich von vornherein weiß: Den werde ich so nicht stehen lassen. Allerdings ist solche Konzentration anstrengend - nach eineinhalb Stunden muss ich eine Pause machen.

MFThK: Welchen Beruf hätten Sie angestrebt, wenn Sie nicht Theologe geworden wären?

Pesch: Ich hatte vor dem Abitur ernsthaft erwogen, Musik zu studieren (Klavier, Dirigieren, auch Komposition - habe als Gymnasiast und während des Studiums viel komponiert). Die Voraussetzungen wären wohl gegeben gewesen (nach Meinung meines sehr guten Klavierlehrers). Die Theologie hat dann gesiegt - allerdings ohne die geringste Option, eines Tages Professor zu werden.

MFThK: Einem Theologiestudenten im ersten Semester müssen Sie drei Ratschläge erteilen - welche wären das?

Pesch: 1. Bleiben Sie immer neugierig - vor allem auf die Geschichte des Glaubens, die "frei macht" und den Mut zum eigenen Nachdenken gibt.
2. Verlassen Sie sich nie auf einen sogenannten "Konsens der Forschung", sondern bleiben Sie kritisch - so mancher "Konsens" ist schon im Papierkorb der Theologiegeschichte verschwunden.
3. Ersparen Sie Ihren Professorinnen und Professoren nicht die Frage, was die Ergebnisse Ihrer fachlichen Forschung für Ihre persönliche Glaubensexistenz austrägt - nicht nach jeder Vorlesung, aber irgendwie im Verlauf oder am Ende eines Semesters.

MFThK: Erlauben Sie zum Schluss bitte noch sieben Fragen aus dem Fragebogen des alten FAZ-Magazins.
Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte?

Pesch: Thomas von Aquin.

MFThK: Ihr Lieblingsmaler?

Pesch: Kandinsky - und überhaupt die Expressionisten.

MFThK: Ihr Lieblingskomponist?

Pesch: Ludwig van Beethoven - im Zweifel auch einmal Johannes Brahms und Anton Bruckner; von den Modernen Paul Hindemith.

MFThK: Ihr Lieblingsschriftsteller?

Pesch: Habe keinen! Die wenige Freizeit im "unruhigen Ruhestand" gehört der Musik. Sobald ich Zeit habe, möchte ich wieder einmal Heinrich Böll lesen.

MFThK: Ihre Lieblingsbeschäftigung?

Pesch: Natürlich erst einmal die Theologie! Mein Traumjob ist ja mein Beruf! Danach: Musizieren (Klavier, Kammermusik mit Freunden, Orgel) und: Kochen!

MFThK: Welche Reform bewundern Sie am meisten?

Pesch: Die Liturgiereform des Konzils, ergänzt durch Papst Paul VI. - das auch ökumenisch wichtigste und dauerhafteste Reformwerk des Konzils, nur leider oft durch Stillosigkeit in der Durchführung in Misskredit gebracht.

MFThK: Ihr Motto?

Pesch: Nie den Dank an Gott vergessen für das Viele, das mir unverdient geschenkt wurde.

MFThK: Vielen Dank für das Interview!


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)