"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
2. Folge: 7 Fragen an Denis Schmelter

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages. Der zweite Interview-Partner nach Hans-Dieter Mutschler ist der junge Fundamentaltheologe Denis Schmelter, geboren und aufgewachsen im Sauerland. Mit seiner gerade erschienenen Monographie Gottes Handeln und die Risikologik der Liebe - Zur rationalen Vertretbarkeit des Glaubens an Bittgebetserhörungen wurde er bei Armin Kreiner an der Universität München promoviert. Er wohnt in Vechta und ist Habilitationsstipendiat der Frankfurter "FAZIT-Stiftung", sein Projekt wird begleitet von Klaus Müller.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Das Gebet als Kommunikationsgeschehen zwischen Gott und Mensch ist der Ernstfall des Glaubens. Insbesondere von der Antwort auf die Frage, ob sich Gott von unserem ganz persönlichen betenden Bitten tatsächlich so bewegen lässt, dass er mit situativ-konkretem Handeln darauf eingeht, hängt entscheidend ab, ob der Mensch zu einer lebendigen Gottesbeziehung gelangt, die sein Leben wirksam prägt. Mein Buch zeigt einen Weg auf, wie man auch als aufgeklärter Mensch an Bittgebetserhörungen glauben kann, ohne sich dafür den Vorwurf der Naivität gefallen lassen zu müssen.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Einem Menschen, der sich auf das Wagnis des Glaubens einlässt, erschließen sich Möglichkeiten, von denen er zuvor nicht zu träumen gewagt hätte. Wer sein Leben in der freundschaftlich-vertrauensvollen Kooperationsverbundenheit mit Gott führt, beschreitet den konstruktivsten Weg der Daseinsgestaltung.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Es gibt ein ganzes Bündel theologischer Probleme, die sich bei dem Thema "Bittgebet" wie in einem Brennpunkt vereinigen. Die brisantesten scheinen mir die folgenden zu sein:
(1) Mit der Nicht-Erhörung von Bittgebeten erfüllt Gott den Tatbestand unterlassener Hilfeleistung - eine Situation, die in Fällen des sinnlosen Leidens Unschuldiger als besonders empörend empfunden wird. Es handelt sich mithin um eine verschärfende Konkretisierung des Theodizee-Problems. Dass es nach wie vor Theologen gibt, die dieses Problem mit Verweis auf die "Geheimnishaftigkeit" des "je größeren" Gottes wegerklären oder sich mit dergleichen billigen Vertröstungsmaschen mehr aus der Affäre ziehen wollen, ist skandalös, weil damit einerseits himmelschreiendes Übel indirekt gerechtfertigt und als möglicherweise sogar dem Willen Gottes entsprechend insinuiert wird, und weil damit andererseits die massiven kognitiven und emotionalen Dissonanzen übergangen werden, die den von solchem Leid akut betroffenen Menschen den Glauben verständlicherweise erschweren und manchmal sogar zu zerstören drohen. Mag es für das Theodizee-Problem in der Tat keine rundweg befriedigende und restlos überzeugende Lösung geben, kann man sich doch zumindest bemühen, die Aporien so weit wie möglich zu reduzieren. Das schafft meines Erachtens die sog. logic-of-love defence, die in meinem Buch profiliert wird.
(2) Die Fundamentaltheologie hat das Gottesbild des christlichen Glaubens nicht nur gegenüber der grundsätzlichen Religionskritik seitens des Atheismus zu bewähren, sondern ist derzeit auch einer speziellen (religions-)philosophischen Theismuskritik ausgesetzt. In dieser aktuellen (religions-)philosophischen Debatte kommt es darauf an, die Stimmigkeit des theistischen Gottesbildes neu zu erhellen. Hierzu gilt es allerdings, die theologische Gotteskonzeption von der Überfrachtung mit bestimmten philosophischen Prinzipien (zum Beispiel dem platonischen Immutabilitätsaxiom, dem boethianischen Eternalismus etc.) zu befreien. Diese können nämlich eine Vorstellung erzeugen, welche Gott in die Ferne des Abstrakten entrückt. Gott ist aber kein philosophisches Konstrukt, sondern der lebendige Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der himmlische Vater Jesu Christi, der gemäß dem Zeugnis der biblischen Botschaft und der kirchlichen Tradition sich selbst auf dem Feld der Geschichte den Menschen erschließend mitteilt und mit dem man in die Dynamik einer real-personalen Interaktion treten kann, die im Gebet je neu abzustimmen ist. Der (vor allem im angloamerikanischen Raum verbreitete) "Open View"-Theismus, der in meinem Buch ausführlich dargestellt und kritisch diskutiert wird, kann dieser christlich-theistischen Denkfigur neue Plausibilität verleihen.
(3) Die fundamentaltheologische Aufgabe, Eingriffe Gottes in den innerweltlichen Ereignisverlauf als so denkbar zu erweisen, dass es mit unserem naturwissenschaftlich geprägten Weltbild verträglich ist, erfordert interdisziplinäre Diskurskompetenz. Vereinzelt gibt es bereits Projekte, die diesem Desiderat entsprechen, wenngleich solche Bemühungen gerade in der deutschen Theologie noch ausbaufähig sind.
(4) Die Praxis persönlichen Betens vermag der oft apostrophierten Verdunstung kirchlichen Glaubens in einer säkularen Gesellschaft entgegenzuwirken: Wenn ein Mensch in einer echten Gottesfreundschaft lebt und dabei die religiöse Erfahrung macht, dass Gott auf sein persönliches Gebet reagiert und er so gemeinsam mit Gott Möglichkeiten umfassend gelingenden Daseins erarbeiten kann, schenkt das dem Glauben die Evidenz erlebter existenzieller Tragfähigkeit.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Peter Sloterdijk und Richard Dawkins

5. Ihr Buch in einem Satz:

Es ist nicht irrational daran zu glauben, dass Gott gelegentlich Bittgebete mit seinem bestimmte Wirklichkeitszustände realiter transformierenden Handeln erhörend beantwortet.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

(1) Benedikt XVI.: Enzyklika Deus Caritas Est.
(2) Gregory A. Boyd: God of the Possible.
(3) Klaus von Stosch: Gott - Macht -Geschichte.
(4) Udo Jürgens/Michaela Moritz: Der Mann mit dem Fagott.
(5) Paulo Coelho: Der Alchimist.

7. "Ich habe keine anderen Hände als die Euren" steht als Spruch auf einem Holzkreuz in Münster, dessen Corpus durch eine Bombe im Zweiten Weltkrieg beide Arme abgerissen wurden. Wenn Sie ein Foto dieses Kreuzes im Religionsunterricht einsetzen würden: Würden Sie es zustimmend oder ablehnend verwenden?

Wo echte Liebe, friedvolles menschliches Zusammensein und wahres Glück - umfassend gelingendes, florierendes "Leben in Fülle" (Joh 10,10) - verwirklicht werden, dort geschieht Gottes Wille. Gott will Sein Projekt in der Interaktion mit Seinen geschöpflichen Partnern realisieren. Damit sich Sein Heils- und Liebeswille in dieser Welt durchsetzen kann, ist Gott auf die freie Zustimmung und beherzt-tatkräftige Mitwirkung der Menschen angewiesen. Darin liegt das Risiko, welches Gott eingegangen ist, indem er eine so fragile Schöpfungswirklichkeit eingerichtet und deren Gestaltung in die Verantwortung willensfreier Wesen gelegt hat. Verweigern sich diese der Dynamik vertrauensvollen Gebens und Nehmens, sinkt die Aussicht auf ein Gelingen des göttlichen Projektes, und dann müssen die Wenigen, die noch im Sinne Gottes denken, fühlen, kommunizieren und handeln, immer mehr Schadensbegrenzung betreiben, während die Weiterentwicklung der Menschheit stagniert. Dafür kann die Kreuzesdarstellung die Schüler sensibilisieren: Jeder kann und soll da, wo er hingestellt ist, als Mitarbeiter Gottes fungieren.
Hingegen muss aber auch betont werden: Das Walten Gottes ist nicht auf das Menschen-Mögliche beschränkt. Insofern fände ich es wichtig, mit den Schülern die Hoffnungsperspektive des christlichen Glaubens zu erschließen, die einen rein immanenten Horizont aufsprengt: In der Kooperation des glaubenden Menschen mit dem geschichtsmächtigen Gott vermögen sich Synergieeffekte zu ergeben, die einem ganz auf sich allein gestellten "nur" menschlichen "Selber-Machen" oft verschlossen bleiben. Die Pointe meiner Reinterpretation des Vorsehungsglaubens liegt gerade darin: Die Chance, dass sich die Dinge zum Besten aller Beteiligten "fügen", dass sich - gerade angesichts von ansonsten ausweglos erscheinenden Notlagen - wieder günstige Konstellationen und erfreuliche Entwicklungen ergeben und sich Lösungsmöglichkeiten auftun können, mit denen sich eine problematische Situation tatsächlich zum Guten hin verändern lässt, ist am höchsten, wenn Gott und Mensch miteinander handeln, wenn - um im Bild zu bleiben - Seine und unsere Hände gemeinsam anpacken beim Aufbau Seines Reiches, bei der Ausbreitung Seiner heilend-befreienden Herrschaft. Ich würde darum versuchen, die Schüler zu ermutigen, das Wagnis einer solchen konstruktiven Wirklichkeitsgestaltung in der vertrauensvollen Kooperation mit Gott einzugehen.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)